Nacht des Ketzers
ein Jungtier abhandengekommen, und dein Vater wird wohl die ganze Nacht wachen und sehen, wer der freche Dieb ist.“ Giordano schmunzelte. Er kannte seinen Vater nur zu gut. Er würde so lange bei den Tieren bleiben, ja selbst draußen übernachten, bis er herausgefunden hatte, wer es wagte, sich an seinem Eigentum zu vergreifen. Sicher war der alte Soldat gut bewaffnet. Geübt im Kampf Mann gegen Mann, brauchte man sich keine Sorgen um ihn zu machen, auch wenn er es mit einer größeren Diebesbande oder einem wilden Tier zu tun bekäme. Wortlos ließ er sich das Essen schmecken, leerte den Krug in einem Zug. Der klobige, unebene Holztisch ließ Kindheitserinnerungen in ihm wach werden. Immer noch gab es eine große, dicke, weiße Kerze in der Mitte des Tisches wie die, mit deren Wachs er als Junge so gern gespielt hatte, ließen sich daraus doch herrliche Kügelchen und andere Gebilde formen. Sein Vater hatte ihm einmal kleine Holztiere und Figuren von Kriegern von einem seiner Feldzüge mitgebracht. Mit diesen hatte der kleine Junge dann stundenlang im Schein der Kerze gespielt, während draußen der scharfe Wind von den nahen Bergen pfiff.
Giordano nickte nur, als seine Mutter ihn fragte, ob er länger bleiben wolle. Immer noch traute sie sich nicht, ihn zu fragen, warum er denn nun hier sei. Sie wusste nur zu gut, dass er darauf lediglich antworten würde, wenn er wirklich wollte. Also ließ sie ihm Zeit. Drängte ihn nicht.
Sie musterte ihn. Wie dünn er geworden war … das dunkle Haar hing strähnig in sein Gesicht. Die Haut war gebräunt von der langen Wanderung in der Sonne, an manchen Stellen begann sie sich bereits zu lösen. Nach dem Mahl legte er sich in sein altes Bett und merkte gar nicht mehr, wie ihm seine Mutter die wunden Füße mit einer kühlenden Salbe einrieb.
Kapitel 6
1. Februar 1596
Kardinal Bellarmin hatte schlecht geschlafen. Der Ketzer war ihm im Traum erschienen, hatte ihn verhöhnt und einen dummen Pfaffen genannt, der nur weltliche Genüsse im Sinn hatte. Er rieb sich die Augen und richtete sich schwer ächzend im Bett auf. Langsam kam Leben in seine kräftige Statur. Er goss Wasser aus einem Tonkrug in die Waschschüssel neben seinem Bett. An diesem Tag würde die Entscheidung über das Schicksal Giordano Brunos fallen. Aber eigentlich, so schien es, war sie wohl schon gefallen. Niemals würde der Häretiker abschwören, das war Bellarmin absolut klar, und keinesfalls durfte das Offizium zulassen, dass Bruno seine Irrlehren weiter verbreiten konnte. „Valerio!“ Der Kardinal spürte, dass er seine Blase entleeren musste. „Valerio!“ Hörte der Tölpel sein Läuten und Rufen nicht? „Valerio!“ Ungeduldig rief er erneut nach seinem Diener, damit dieser ihm beim Ankleiden behilflich sei.
Die Menschen waren so dumm und leichtgläubig. Schnell fielen sie auf einen, der schöne Reden halten konnte, herein, und reden konnte dieser Sturkopf. So gut, dass selbst er, Bellarmin, sich dabei ertappte, wie er minutenlang den gut fundierten Verteidigungsreden des Angeklagten lauschte und dabei so etwas wie Bewunderung verspürte. Aber schnell schob er diese Gedanken wieder beiseite. Hier ging es um mehr: um das Heil und die Zukunft der heiligen römisch-katholischen Kirche, und diese Zukunft durfte nicht wegen eines kleinen unbedeutenden Ketzers aufs Spiel gesetzt werden. Niemals.
„Valerio, endlich, wo bleibst du denn so lange?“
„Verzeiht, Exzellenz, verzeiht!“ Der um fast einen Kopf kleinere Diener machte eine tiefe Verbeugung, ehe er die purpurne Robe des Kardinals mit einem geübten Schwung über die stattliche Erscheinung warf. „Ich habe Euer Läuten wohl überhört.“
„Schon gut“, murmelte Bellarmin unter der Robe hervor. Er konnte dem Alten nicht böse sein. Zu lange kannten sie einander schon, waren eigentlich bestens aufeinander eingestellt, aber immer häufiger spürte er, dass Valerio mit seinen über siebzig Jahren den Anforderungen, die er an ihn stellte, nicht mehr gewachsen war. Der Geistliche wusste, dass es der größte Sieg für ihn wäre, wenn Bruno widerrufen würde. Dann könnte er aller Welt sagen: „Seht her, er hat eingestanden, dass er irrte. Der gütige, allmächtige Gott hat ihm die Einsicht geschenkt und ihn zur Umkehr von seinem Irrweg bewogen. Seht her: Gottes Barmherzigkeit kennt keine Grenzen. Selbst ein so schweres Verbrechen wie das der Ketzerei verzeiht er in seiner unendlichen Güte. Unser Bruder Giordano Bruno war geistig
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