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Nacht des Ketzers

Nacht des Ketzers

Titel: Nacht des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Weinek
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zurück nach Neapel oder Nola, jedenfalls weg von hier.
    „Reiß dich zusammen! Gott hilf! Du musst es tun! Sie braucht deine Hilfe!“, mahnte sich Guiseppe, während er in seiner Kammer auf und ab ging. Er besaß keine Waffe mehr. Egal. Mit den bloßen Fäusten würde er sie dem Ungeheuer entreißen. Es dämmerte bereits. Die Straßen leerten sich. Der Wirt hatte argwöhnisch geblickt, als Guiseppe nach einem Zimmer fragte, aber keinerlei Gepäck bei sich hatte. Ein paar Münzen hatten seine Zweifel vertrieben. Guiseppe atmete schwer. Er versuchte, sich zu beruhigen. Er wusste, dass er kein tapferer Held war. Aber hatte er nicht mit Giordano bereits so mancher Gefahr getrotzt? Ja, Giordano, an seiner Seite hatte er sich sicher gefühlt. Wie ein großer Bruder war er ihm vorgekommen. Er legte sich auf das Bett, versuchte, seine Kräfte zu sammeln.
     
    ***
     
    Die Dunkelheit senkte sich rasch über die Stadt. Wie immer gingen die Bewohner früh zu Bett, so dass bald kein Mensch mehr auf der Gasse zu sehen war. Leise schlich Guiseppe die Treppe hinunter in die Wirtsstube. Hinter einer Tür hörte er zwei männliche Stimmen. Sie unterhielten sich über die Hinrichtung. Einer lachte. Dem Gespräch konnte er entnehmen, dass es sich um zwei Wachen handelte. Fast wäre er über eine Armbrust gestolpert, die vor der Tür lehnte. Rasch nahm er sie an sich. Einen Gurt mit Bolzen ebenso. Unbemerkt verließ er das Haus, die Armbrust geschultert, die Kapuze seines Mantels über den Kopf gezogen. Das Haus des Richters lag nur wenige Schritte entfernt. Die Tür war verschlossen. Das große Tor zum Innenhof stand einen Spaltbreit auf. Rasch schlüpfte er durch. Ein Geräusch rechts von ihm. Eine Katze schmiegte sich an seine Beine, miaute leise und lief dann davon. Das verhaltene Gackern von Hühnern war zu hören. Ein Kauz. Dann wieder Stille. Guiseppe wusste nicht, wie lange er schon im Innenhof verharrte, als er ein halboffenes Fenster erspähte. Von irgendwo aus dem Haus hörte er ein Poltern, dann ein lautes Fluchen. Rasch nutzte er die Gelegenheit und kletterte durch das Fenster, dessen Rahmen dabei laut knarzte. Wieder hielt er inne. Lauschte, ob ihn jemand gehört hatte. Er nahm die Armbrust auf und spannte sie vorsichtig, zu allem bereit. Das Fluchen war verstummt. Es war die Stimme des Richters gewesen. Es klang, als hätte er getrunken. Noch ein, zwei andere männliche Stimmen waren aus einem Raum im Erdgeschoss zu vernehmen. Langsam stieg Guiseppe die Treppe hinauf. Er drückte die Klinke der ersten Tür. Dunkel. Der zweiten. Wieder nichts. Der dritten und letzten. Verschlossen. Enttäuschung. Er spürte, dass Anna hinter dieser Tür gefangen sein musste. Schon wollte er versuchen, sie gewaltsam zu öffnen. Doch das hätte nur die Männer gewarnt, und mit dreien oder vieren konnte er es nicht aufnehmen. Eine Idee. Ein Schlüssel steckte in einer der Türen, die er bereits geöffnet hatte. Er passte. Vorsichtig drehte er ihn im Schloss, wieder ein Knarzen. Er nahm eine kurze Bewegung im Raum wahr.
    „Anna?“
    Stille.
    „Anna?“ Noch einmal flüsterte er leise ihren Namen. Dann, als die Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er sie in einer Ecke kauern. Er öffnete die Tür etwas weiter, so dass ein Lichtkegel sie traf. Anna hatte die Augen geöffnet, starrte apathisch auf den Boden. Sie schien ihn nicht zu bemerken. Er betrat den Raum, flüsterte mehrmals ihren Namen. Er legte die Armbrust auf einen Tisch und half ihr hoch. Immer noch schien sie keine Notiz von ihm zu nehmen. Ihr Gesicht war eingefallen, das Haar ungewaschen und wirr. Augen und Lippen waren von Schlägen geschwollen und verfärbt. Guiseppe hörte die Schritte auf der Treppe nicht, zu sehr war er mit der regungslos Dasitzenden beschäftigt. Er griff ihr unter die Arme, und mit einem Ruck zog er sie hoch. Dann erstarrte er und hätte sie um ein Haar wieder fallen lassen. De Leveré stand in der Tür. Er schwankte und musste sich am Türstock festhalten. Guiseppe ließ Anna los, wollte sich auf den Richter stürzen, der immer noch mit offenem Mund vor ihnen stand. Dann ging alles sehr rasch. Er hörte ein Klicken und ein Surren. Der Bolzen drang de Leveré durch das rechte Auge in den Kopf, und er sackte lautlos in sich zusammen. Anna senkte die Armbrust und starrte auf den Toten. Guiseppe ließ ihr keine Zeit, nahm ihr die Waffe aus der Hand und zog sie an der Leiche vorbei aus dem Zimmer. Unbemerkt verließen sie das Haus.

Kapitel

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