Nacht des Ketzers
aber stets verziehen wurde. Giordano, eigentlich kein großer Freund des Bieres, schmeckte die bittere, dunkelbraune Brühe. Bei nächster Gelegenheit würde er Shakespeare in seinem Theater aufsuchen. Der Dichter erschien ihm nach all den Erzählungen de Castelnaus als ein Seelenverwandter des von ihm so verehrten Michel de Montaigne, und er hatte gemerkt, dass es ihm guttat, sich mit solchen Geistern zu umgeben. Menschen, die der Einfalt trotzten, die der bornierten, engstirnigen Obrigkeit, sei es Adel oder Klerus, wacker entgegentraten, die aber durch ihre Schlauheit und ihren Witz unangreifbar waren. So wollte er werden, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse, seine Philosophie so unbeschwert und allgemeinverständlich unters Volk zu bringen, daran wollte er arbeiten. Das erschien ihm als brauchbares Ziel. Der Gesandte bezahlte die Zeche und drängte zum Aufbruch, da er noch vor Einbruch der Dunkelheit in London ankommen wollte. Gerade um diese Jahreszeit sei der Nebel in der Stadt besonders dicht, und oft sähe man nicht einmal eine Handbreit vorm Gesicht, erklärte er. Giordano trank aus, musste aber kurz darauf die Kutsche wieder halten lassen, da seine Blase wohlgefüllt vom Gerstensaft ihr Recht einforderte. Auch sein Begleiter nutzte die Gelegenheit, und so standen sie Seite an Seite und beobachteten dabei, wie ein Schäferhund sich abmühte, die renitente Herde zusammenzuhalten. Nach weiteren etwa anderthalb Fahrstunden passierten sie das Osttor der Stadt. Ähnlich wie in Paris herrschte reges Treiben auf den Straßen, so dass die Kutsche nur sehr langsam vorankam, was Giordano die Gelegenheit gab, Tower und Tower Bridge zu bewundern. Der Anblick der St.-Pauls-Kathedrale ließ ihn kurz an Rom und an die Inquisition, die dort vergeblich seiner harrte, denken. Er schmunzelte. Sollten die Narren nur warten. Nie mehr würden sie ihn zu Gesicht bekommen. Seine neue Heimat waren jetzt Europa und all die Länder, die ihn und seine Lehre willkommen hießen. Aber vielleicht würde Italien ja eines Tages erwachen, die Toleranz, die er vielerorts bereits kennengelernt hatte, üben und endlich akzeptieren, dass es zwar nur einen Gott gab, aber viele Wege, um zu ihm zu gelangen. Aber vorerst wusste er, dass eine Rückkehr zumindest Folter, wenn nicht sogar den Tod auf dem Scheiterhaufen bedeuten würde.
Sie waren in Mayfair am Wohnsitz de Castelnaus angekommen. Die Ankunft des Gesandten war bereits angekündigt worden. Ein Diener öffnete die Tür der Kutsche, vor die er ein kleines Holztreppchen gestellt hatte, um den Reisenden den Ausstieg zu erleichtern. Dann lud er das Gepäck ab, während de Castelnau dem Kutscher die Fahrt bezahlte. Giordano verweigerte eine weitere Mahlzeit, zumal sein Magen durch die Schaukelei etwas in Mitleidenschaft gezogen war, und ließ sich von seinem Gastgeber nur noch zu einem Gläschen Whiskey überreden, um sich dann in sein Gästezimmer zurückzuziehen. Er fiel umgehend in einen tiefen, traumlosen Schlaf, während im Erdgeschoss de Castelnau eine Boten nach St. James schickte, um für den nächsten Tag eine Audienz bei der Königin zu erbitten.
Kapitel 64
1. Januar 1600
Giordano erwachte, da eine seiner Wunden wieder zu eitern begonnen und der pulsierende Schmerz von seinem ganzen Körper Besitz ergriffen hatte. Es war bitterkalt in seiner Zelle, und er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Er wusste nur, dass es nach Weihnachten sein musste, da er die Wachen darüber reden gehört hatte und die Glocken von St. Peter einen ganzen Tag lang nicht hatten verstummen wollen. Mehrmals hatte er versucht, seine Position gegenüber den Vorwürfen der Inquisition zu Papier zu bringen, aber immer wieder hatte er abgebrochen, durchdrungen von der Erkenntnis, dass sein Tod so oder so besiegelt war, sei es siechend hinter Klostermauern oder qualvoll auf dem Scheiterhaufen. Kardinal Bellarmin hatte ihn noch einmal besucht und ermahnt, endlich Reue zu zeigen, aber beide wussten, dass das Gespräch sinnlos war, der letzte Versuch des Oberinquisitors, seine Pflicht gegenüber den Vorschriften über den Umgang mit Ketzern zu erfüllen. Giordano rechnete mittlerweile täglich mit der Urteilsverkündung, und manchmal, wenn er Schritte vor seiner Zelle hörte, wünschte er sich sogar, es wären seine Henker. Er versuchte sich auszumalen, wie es denn wäre, wenn sich der Rauch des brennenden dürren Geästs in Nase und Mund breitmachte und langsam in die Lunge kroch. Wenn die züngelnden Flammen
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