Nacht des Verfuehrers - Roman
für passend, Sie dem öffentlichen Spektakel auszusetzen, das zu solchen Gelegenheiten üblicherweise veranstaltet wird.«
Alcy war trotz ihres benommenen Zustands alarmiert. »Werden Ihre Leute mich nicht für hochmütig halten?«
Ein sonderbarer Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit. »Nicht im Geringsten. Ich habe sämtliche Arrangements schon vor über einem Monat getroffen. Sie können nicht einmal im Traum annehmen, dass Sie in dieser Sache etwas zu sagen gehabt hätten.«
Genau in diesem Augenblick tauchte, in einem Rausch aus gestärkter Seide, Celeste auf und machte eine Erwiderung unmöglich.
» Qu’est-ce qui s’est passé, mademoiselle? «, fragte die Zofe und verfiel vor lauter Sorge in ihre Muttersprache.
Alcy drehte sich nach dem Baron um, doch er war fort.
»Wie es scheint, sind wir verheiratet«, sagte sie tonlos und starrte die leere Stelle an, wo er gestanden hatte.
Die Suite des Barons nahm das gesamte obere Stockwerk des rechteckigen Festungsbaus ein. Die Treppe endete vor einer Tür, die direkt in einen riesigen Salon führte, in dem sich drei weitere Türen auftaten – zwei an der einen Wand, eine an der anderen. An der dritten und vierten Wand reihte sich Fenster an Fenster. Das dramatische Panorama der ansteigenden Bergketten, die sich bis in weite Ferne zogen, ließ Alcy innehalten.
Ein unglaublicher Ausblick, ging es ihr durch den Kopf, schrie förmlich nach einem schlichten weißen Raum oder eleganten Pastelltönen, vielleicht auch nach gedämpften, dunklen Farben, jedenfalls nach irgendetwas , das der exquisiten Schönheit gerecht wurde. Fast alles wäre passender gewesen, als der indifferente Mischmasch aus ungemütlichen Möbeln und abgetretenen Teppichen, der den Raum jetzt okkupierte. Eine steife altertümliche Sitzbank, zwei massive hochlehnige Stühle und ein kleiner grobschlächtiger Essplatz, der von einem hiesigen Schreiner stammen und zweihundert Jahre alt sein musste, standen wie auf einer einsamen Insel isoliert neben der enormen Feuerstelle. Das einzige Stück, das aus den letzten fünfzig Jahren datierte, war das gänzlich unpassende Sideboard im fragilen Empirestil. Alcy sah Celeste an, die ihr ein geschmerztes, ängstliches Lächeln zuwarf, dann öffnete sie die Tür zu einem der angrenzenden Räume.
Es handelte sich, wie Alcy feststellte, als sie den Raum betrat, um das Schlafzimmer der Baronin. In der Mitte des Raumes, neben der massiven eingestaubten Bettstatt, stapelten sich ihre Reisetruhen.
»Ich werde den Hausmädchen sagen, sie sollen Ihnen ein Bad richten, oder, Mademoiselle?«, sagte Celeste.
»Oh, aber Sie sprechen doch gar kein Madjarisch«, warf Alcy ein.
Celestes Lächeln entspannte sich. »Ich habe auch kaum Englisch gesprochen, als ich in Ihre Dienste getreten bin, aber ich kann mich ganz gut per Zeichensprache verständigen. Machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen.« Sie vollführte eine kleine verhuschte Geste, als hätte sie ihrer Arbeitgeberin am liebsten beruhigend die Hand auf die Schulter gelegt, dann rauschte sie leise zur Tür hinaus.
Alcy umklammerte das neue fremde Gewicht an ihrem Finger, ihren Ehering, und verfiel, jetzt, als sie in dem höhlenartigen Raum allein war, in eine Mischung aus Verzweiflung und Panik. Sie holte tief Luft und sagte sich: Nun sei kein solcher Angsthase, du hast es so gewollt. Ihr Pflichtteil war sicher unter ihrem eigenen Namen angelegt worden, sie war also nicht völlig machtlos. Was hätte sie sich von einer Heirat mehr erhoffen können? Das Grübeln half ihr nicht weiter, aber eine halbe Stunde später, nach einem wunderbar heißen Bad und mit einem fröhlichen Feuer im Kamin, fühlte sie sich schon deutlich stabiler.
Celeste kämmte ihr das Haar, während Alcy sich in ihren liebsten mit Rüschen besetzten Morgenmantel kuschelte, dessen Butterblumengelb ihrem Teint zwar nicht anstand, der aber verlässlich ihre Stimmung aufhellte. Celeste hatte ihn, während Alcy gebadet hatte, vor dem Feuer gewärmt, und er verströmte den süßen, schlichten Duft von englischem Lavendel.
Alcy studierte sich kritisch im Spiegel des Toilettentischs und versuchte einzuschätzen, was der Baron sich bei ihrem Anblick wohl gedacht hatte. So zerlumpt sie auch gewesen war, allzu enttäuscht konnte er nicht gewesen
sein, entschied sie ohne Eitelkeit oder falsche Bescheidenheit. Zudem hatten sie sich kaum unterhalten, also hatte er keinen Grund, die Eheschließung zu bereuen, jetzt noch nicht, denn zumindest
Weitere Kostenlose Bücher