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Nacht des Verfuehrers - Roman

Nacht des Verfuehrers - Roman

Titel: Nacht des Verfuehrers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce Gabi Langmack
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Pflichten erfüllt. Doch für Alcy begann jetzt ein neues Leben. Sie zögerte einen Augenblick, der Ring an ihrem Finger fühlte sich wie ein Klumpen Blei an, dann legte sie die Hand an den Türknauf, drehte ihn und machte auf.
    Baron Benedek erwartete sie bereits im Salon. Seine Silhouette zeichnete sich vor den gotischen Fenstern ab, hinter denen jetzt eine lodernde Abenddämmerung zu sehen
war, welche die Berge in den Widerschein des flammenden Himmels tauchte. Als sie eintrat, weiteten sich seine Augen etwas; der Anflug von Begierde, der über sein Gesicht huschte, war wild und unmissverständlich. Alcy ertappte sich dabei, wie sie scheu und töricht lächelte, als die Wärme des Sonnenuntergangs sie durchdrang und ihre nervöse Starre in etwas Schmiegsameres, weniger Angsterfülltes verwandelte.
    Er erhob sich, ohne ihr Gesicht aus den Augen zu lassen. Er stand entspannt in dem altertümlichen Zimmer, die erheblich altertümlicheren Berge hinter sich, und er erschien ihr wie das Abbild eines alterslosen Märchenkönigs, eines weisen Formwandlers mit schwarz gesträhntem Silberhaar und den bleichen Augen eines Wolfs. Ja, ein Wolfskönig: Auch wenn seine Gestalt eher kraftvoll als ausgemergelt war, irgendetwas an ihm sah hungrig aus. Da drüben Cassius hat einen hohlen Blick; er denkt zu viel: die Männer sind gefährlich , zitierte Alcy geistesabwesend.
    Sie schüttelte den Kopf, verwarf den Vergleich. Nichts passte weniger zu einer Hochzeit als eine Passage aus Julius Cäsar. Er denkt zu viel? Dieser Vorwurf zielte wohl besser auf sie selbst. Sie hätte besser Spensers »Epithalamion« zitiert, ein Gedicht, das anlässlich einer Hochzeit verfasst worden war. Doch als sie bei Hilf mir, auf dass ich meiner Geliebten Lobpreisung hören werde angekommen war, geriet sie ins Stocken, unfähig fortzufahren.
    »Eure Ladyschaft«, sagte der Baron auf Englisch mit schwerem Akzent und bedachte sie mit einer tiefen Verbeugung, in der sich aufrichtiger Respekt mit seltsamer Ironie mischte.
    »Sir«, erwiderte sie, trat weiter ins Zimmer und schloss
die Schlafzimmertür hinter sich. Die Begrüßung, das wusste sie, war die explizite Anerkennung des Sieges, den Alcy errungen hatte, als ihr Vater für sie per Mitgift einen Titel erworben hatte. Sie hätte triumphieren müssen. Sie war jetzt Baronin, nicht mehr und nicht weniger. Sie war eine Schlossherrin und mit einem fast schon überirdisch gut aussehenden Mann verheiratet. Stattdessen verspürte sie eine Verunsicherung, die sich in den anderen, weit irdischeren Gefühlen, die sein durchdringender Blick bei ihr auslöste, fast verlor. Irgendetwas stimmte hier nicht – auch wenn sie nicht den Finger darauf legen konnte, noch nicht jedenfalls.
    Der Baron sah abrupt weg, worauf ein Lakai vortrat und Alcy an dem kleinen runden Tisch den Stuhl zurechtrückte. Alcy nahm in dem Bewusstsein Platz, dass jede ihrer Bewegungen die Anmut stundenlangen, gnadenlosen Übens verströmte und kam sich aus unerklärlichen Gründen doch ungeschickt vor.
    Der Baron nahm hastig seinen Platz ein. Seine Bewegungen erschienen ihren unnatürlich sensibilisierten Sinnen fast schon raubtierhaft. Alcy versuchte sich abzulenken, indem sie das halbe Dutzend Lakaien studierte, deren Livree so alt wie der Essplatz war und die stumm nebeneinander an einer der Wände standen. Zu Hause – in Leeds, auf dem Landsitz in Middlesex oder in London – waren sie bei jeder Mahlzeit von einem halben Dutzend Lakaien bedient worden, weil Vater darauf bestanden hatte, und doch wurde sie das Gefühl nicht los, dass es sich in diesem Fall um eine unübliche prahlerische Geste handelte, die allein ihr galt.
    Alcy wandte sich abrupt wieder dem Baron zu, der aus
der großen Terrine neben seinem Ellenbogen Suppe in zwei Teller schöpfte.
    »Sie müssen unsere Kochkünste entschuldigen«, sagte er. »Im Vergleich zu dem, was Sie gewohnt sein dürften, müssen sie überaus armselig erscheinen, auch wenn der Koch den Mangel an Qualität durch Quantität auszugleichen versucht. Ich habe aus Frankreich zwar jede Menge Kochbücher mitgebracht, verfüge aber über keinen Küchenchef, der sie verwenden könnte.« Den Worten zum Trotz hörte er sich nicht im Mindesten zerknirscht an.
    »Und warum nicht, Sir?«, fragte Alcy zögerlich. Ihr Ehemann sollte heute Nacht nichts an ihr auszusetzen haben, also wollte sie nicht neugierig erscheinen, aber er schien eine Reaktion zu erwarten.
    Er warf ihr einen gequälten Blick zu. »Bücher

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