Nacht des Verfuehrers - Roman
Zorn war verpufft wie eine Brise Schießpulver, und es waren nur
Rauch und die Erinnerung an Hitze übrig geblieben. Dennoch gelang es ihr nicht, ihren Ausbruch zu bereuen oder Verlegenheit zu empfinden. Er ersparte ihr eine Antwort und fuhr selber fort.
»Ich frage Sie das, weil mir die Situation schwerlich recht und billig erscheint. Immerhin sind meine Beweggründe für Sie vollkommen transparent. Geldmangel kann einen zu vielen ungewöhnlichen Maßnahmen treiben. Aber Sie …« Seine Stimme verlor sich, und er zog eine Augenbraue hoch. »Ich hatte etwas völlig anderes erwartet. Jetzt, da ich Sie kennen gelernt habe, stehe ich vor einem Rätsel.«
»Was meinen Sie damit?«, fragte sie stockend. Gegen ihren Willen zwang die Neugier sie zum Sprechen.
»Wie alt sind Sie?«, sagte er und wich der Frage aus.
Sie starrte stirnrunzelnd ihren Fisch an. »Einundzwanzig.«
»Genau. Viel zu jung, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass Großbritannien einem keine Zukunft bieten kann.«
Alcy starrte ihn durchdringend an und rechnete mit Hohn. Doch sein Gesicht hatte einen offenen, beinahe unschuldigen Ausdruck, dem selbst der gewohnte Anflug von Hochmut fehlte. »Wenn Sie das sagen«, erwiderte sie widerwillig.
»Das habe ich gerade, glaube ich«, sagte er trocken. »Ich hatte eine deutlich ältere Frau erwartet – eine, die keiner wollte.«
Alcy schüttelte starrsinnig den Kopf. »Ich wüsste nicht, warum. Mein Vater hat Ihnen mit Sicherheit mitgeteilt, wie alt ich bin. Immerhin wollen Sie als Adeliger sichergehen,
dass ich … das passende Alter habe, Ihnen Kinder zu schenken.« Sie räusperte sich und ignorierte die aufsteigende Hitzewallung, die ihr Gesicht zu röten drohte. Es war ohnehin schwer, von solchen Dingen laut zu sprechen – und noch schwerer, wenn es sie selbst und einen Mann betraf, dessen bloße Anwesenheit ihr das Gefühl gab, dass ihr die Kleider zu eng wurden. »Und von den praktischen Fragen einmal abgesehen, hätte allein Ihre Eitelkeit schon eine gewisse Heiratsfähigkeit erfordert.«
»Wie sagen die Engländer noch? Bettler haben keine Wahl. Weswegen ich zugeben muss, dass ich Mr. Carters Versicherungen mit einer gewissen Skepsis betrachtet habe. Warum sollte ein Mädchen von einundzwanzig Jahren einen ungarischen Baron zu heiraten wünschen? Es ergibt keinen Sinn. Ich hatte, trotz des Porträts, das Ihr Vater mir geschickt hat, ein Frau von einer gewissen Unscheinbarkeit erwartet.« Seine Augen streiften vertraulich über ihr Gesicht, ihren Hals und die weißen Schultern. Alcy spürte, wie ihre Haut unter seinem Blick heiß wurde, und die Röte stieg ihr in Hals und Wangen. Doch als der Baron weitersprach, war sein Tonfall sachlich: »Das Porträt erschien mir zu schön, um wahr zu sein, und doch handelt es sich offensichtlich um ein akkurates Abbild. Also, warum sind Sie gekommen?«
»Vielleicht reise ich ja einfach gern«, sagte Alcy so teilnahmslos wie möglich.
Er verwarf die Bemerkung mit einer saloppen Handbewegung und fuhr fort, als hätte sie nichts gesagt. »Ein möglicher Grund kommt einem da sofort in den Sinn. Sind Sie vielleicht … wie soll ich es sagen … kompromittiert worden?«
»Sicher nicht!« Alcy musste die Entrüstung nicht spielen, auch wenn sich etwas in ihr über diese Unterstellung amüsierte. Wäre sie wirklich so unwiderstehlich reizvoll gewesen, dann hätte sie jetzt mit einem jungen englischen Lord verheiratet sein können anstatt mit diesem Barbaren, so attraktiv er auch sein mochte. Selbst Ezekiel, ihr Mentor, ihr Ebenbürtiger, ihr Freund hatte mehr gewollt, als sie hatte sein können.
Der Baron machte eine beschwichtigende Handbewegung. »Ich werde es heute Nacht ohnehin herausfinden, aber Sie sollen wissen, dass Sie meinen Zorn nicht zu fürchten haben, falls -«
»Ich bin selbstverständlich nicht kompromittiert worden oder was auch immer!«, sagte sie nur noch ärgerlicher.
Der Baron rutschte in seinem Stuhl zurück und zog fragend die Augenbraue hoch, als sei sie ein besonders kniffeliges Rätsel. »Stimmt mit Ihnen körperlich etwas nicht? Sodass Sie Ihren ehelichen Pflichten vielleicht nicht voll nachkommen können?«
»Nein!« Sie konnte nicht fassen, dass man ihr eine derartig absurde Frage stellte. Aber der Baron tat es dennoch, was letztlich dafür sorgte, dass sie sich ein ungläubiges Lachen verbeißen musste.
»Warum sind Sie dann nicht verheiratet?«, fragte er und beugte sich plötzlich zielgerichtet nach vorn.
Sie zog die Augen
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