Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht des Verfuehrers - Roman

Nacht des Verfuehrers - Roman

Titel: Nacht des Verfuehrers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce Gabi Langmack
Vom Netzwerk:
Weise nachgehen konnte, wandte sich der Baron ihrem Suppenteller zu.
    »Ah, wie ich sehe, sind Sie mit der Suppe fertig. Ich weiß, dass es eigentlich nicht üblich ist, aber lassen Sie uns heute Abend einmal extravagant sein. Möchten Sie noch etwas, meine Liebe?«
    Die tanzenden Lichter in seinen Augen verrieten Alcy, dass die prosaische Anrede als Scherz gemeint war, und Alcy tat es ihm ohne groß nachzudenken gleich. »Nein, danke, Liebling. Mir reicht es.« Sie biss sich augenblicklich auf die Unterlippe, fürchtete ihre Grenzen übertreten zu haben, aber er nickte nur und winkte einen der Lakaien heran, der ihre Suppenteller abräumte, während der Baron ihnen beiden den Fisch auftat.
    Als er ihr den Teller hinstellte, begutachtete Alcy seine nackten Hände mit größerem Interesse, als es sich schickte. Seine Hände waren schlank und ungebräunt, wie es sich für einen feinen Mann gehörte, doch die Knochen waren kräftig, und in gewisser Weise waren seine Hände auch eher männlich als fein . Alcy hatte sie selbst während der Hochzeitszeremonie nie mit bloßer Hand berührt, weil sie den Handschuh nur für den kurzen Augenblick ausgezogen hatte, als der Priester ihr den Ring angesteckt hatte. Deswegen war ausgerechnet Ezekiel der letzte Mann gewesen,
der sie mit nackter Hand berührt hatte – als er Alcy jenes unbesonnene Geständnis gemacht hatte, das sie so wirr, bestürzt und betrogen zurückgelassen hatte. Ezekiels Hand hatte sich wie aufgerissenes Leder angefühlt, narbig und rau von der Arbeit, derer es bedurfte, seine aufwendigen, komplizierten Konstruktionszeichnungen zum Leben zu erwecken, jene Maschinen, die er in seinem summenden schottisch gefärbten Englisch »die Fabelwesen der modernen Zeit« nannte. Seine Hände waren zudem ganz kalt gewesen, während Alcy an der Stelle, wo Benedek sie berührt hatte, immer noch seine Wärme zu spüren glaubte. Verglichen mit den breiten Händen des Barons erschienen ihr die von Ezekiel jetzt ziemlich klein.
    Alcy wandte abrupt ihren Blick ab und fixierte den Teller, den der Baron ihr hingestellt hatte. Sie versuchte, sich die Geister der Vergangenheit aus dem Kopf zu schlagen, die sich um sie scharten wie arme schwache Seelen aus der Vorhölle Homers und danach dürsteten, erinnert zu werden.
    Sie aß schnell, um die unpassenden Gedanken zu kaschieren, und nippte an dem Wein, den der Baron ihr wortlos eingegossen hatte. Der Fisch war delikat und zart, die Aalpastete sonderbar mittelalterlich, aber gleichfalls köstlich. Alcy versuchte, ihren Verstand zu beschäftigen, indem sie darüber spekulierte, welcher Flusslauf wohl jenen Fang hervorgebracht hatte. Sie wäre vor Schreck fast aufgesprungen, als Baron Benedek ohne Vorwarnung eine Frage auf sie abfeuerte.
    »Warum haben Sie dieser Eheschließung zugestimmt?« Fast hätte sie sich seiner Unverblümtheit wegen verschluckt. Sie riss den Kopf hoch und starrte ihn an. Ein
kleines, in sich gekehrtes Lächeln umspielte seinen Mund, aber hinter seinen blitzenden Augen steckte der blanke Ernst.
    »Verzeihung, Sir?«, brachte sie heraus.
    »Nun kommen Sie schon, Alcy. Tun Sie nicht so, als wüssten Sie nicht, was ich meine«, sagte er mit einem Anflug von Ärger. »Und spielen Sie nicht die Schüchterne. Wir leben nicht mehr in dunklen Zeiten, und reiche Frauen heiraten auch nicht jeden Tag einen Fremden. Sie jedoch haben einen Kontinent durchquert, um genau das zu tun. Ich denke, ich habe es verdient, den Grund zu erfahren.«
    Alcy runzelte die Stirn. »Das ist ein Thema, das ich nicht zu diskutieren wünsche.«
    Das Blitzen in seinen Augen legte sich etwas. »Ich hätte es nicht aufgebracht, wäre ich der Ansicht, dass Sie sich freimütig darüber äußern würden. Wozu hätte ich diese Frage stellen sollen, wenn mir die Antwort in ein paar Minuten ohnehin in den Schoß gefallen wäre? Aber Sie würden wohl bis zur Morgendämmerung über das bezaubernde Muster dieses Tischtuchs sprechen, wenn ich Sie nicht auf ein anderes Themengebiet locke.«
    Sie sah ihn finster an. »Worüber sollte ich sonst auch sprechen? Mein zarter Verstand wird mit gewichtigeren Themen nicht fertig.«
    Er brach in schallendes Gelächter aus. »Alcy, mein kleines Vögelchen, Sie haben einen sehr spitzen Schnabel. Ich hatte Sie für eine Amsel gehalten, doch jetzt stellt sich heraus, dass ich mir einen Adler eingefangen habe.«
    Alcy saß wortlos da und wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Sie wusste nicht einmal, was sie empfand. Ihr

Weitere Kostenlose Bücher