Nacht des Verfuehrers - Roman
zu Dutzenden zu Füßen.
Obwohl sie, was Schönheit und offenbar auch Intellekt betraf, mit jeder dieser Pariserinnen mithalten konnte, wirkte Alcy immer wieder reserviert und trotzig, als hätte sie Grund, den Männern zu misstrauen, anstatt ihr Interesse als angemessen hinzunehmen. Wäre ihr ausgesucht exquisites Kleid nicht gewesen, er hätte sie für blind gehalten, was ihre eigenen körperlichen Reize betraf. Anderseits wirkte sie hier beim Abendessen eher wie dem sorgfältig arrangierten Schaufenster eines Tuchhändlers entsprungen und nicht, als ob sie ihn verführen wolle. Nicht, dass sie ihn nicht attraktiv gefunden hätte – er durfte ohne Eitelkeit von sich behaupten, dass er ihr die entsprechenden Anzeichen sehr wohl angesehen hatte – aber es lag etwas Sonderbares, Besorgtes in der Art, wie sie auf ihn reagierte, als traue sie weder seinen noch ihren eigenen Reaktionen.
Was konnte er zu ihr sagen, das seine Lage nicht noch schwieriger machte? Keine Lügen – sie würde all das hier gewiss nicht schnell vergessen. Es musste einen taktvollen Weg geben, ihre Aufmerksamkeit von seinem Betrug abzulenken. Er entschloss sich zu der Bemerkung: »Sie sind überaus scharfsinnig.«
»Ja, mein Scharfsinn ist viel ausgeprägter als mein Taktgefühl«,
erwiderte sie kühl und reckte ein wenig das kleine Kinn. »Und finden Sie nicht auch, dass diese Diskussion viel interessanter ist, als über das Muster des Tischtuchs zu sprechen?«
Dumitru schenkte ihr sein schönstes Lächeln. »›Interessant‹ heißt aber nicht immer ›gut‹, mein scharfschnabeliger kleiner Adler.« Sie sah ihn nur ungerührt an. Er nahm einen Schluck Wein, um seinen Verdruss zu kaschieren. Aha. Mit Charme würde er sie nicht dazu bewegen, das alles hinzunehmen. Wenn er sie gewinnen wollte, würde er um sie kämpfen müssen. Er holte tief Luft. »Was für einen Unterschied machen schon eine Landesgrenze oder ein Name, geliebte Gattin? Spielt es wirklich eine Rolle, ob Sie mit dem einen oder anderen fremden Adeligen verheiratet sind?«
Sie machte den Mund auf, um ihm einen beißenden Tadel zu erteilen, doch dann sah sie ihn nur scharf an und hielt inne. »Woher wussten Sie, dass ich Baron Benedek heiraten wollte? Sie haben wohl unsere Briefe gelesen. Sie haben mich Ihr kleines Vögelchen genannt, also müssen Sie die Briefe gelesen haben. Aber wie?«
Dumitru zuckte die Achseln. »Wenn man zwischen zwei Weltreichen gefangen ist wie ich, dann zahlt es sich aus, die Nachbarn im Auge zu behalten. Sowohl Benedek als auch ich schicken unsere Korrespondenz über Orsova in die weite Welt. Ich habe einfach nur sichergestellt, dass seine Briefe kopiert werden, bevor man sie weiterleitet. Als er die Eheschließung arrangiert hat, konnte ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Ich brauche Ihr Geld genauso dringend wie er. Ich habe bei Ihrem letzten Brief das Ankunftsdatum manipulieren und Sie von meinen eigenen
Leuten am Hafen abholen lassen. Ihre Mitgift habe ich auf ein von mir eröffnetes Konto umgeleitet.«
Alcyones Miene verriet fassungsloses Erstaunen. »Sie haben mich gestohlen . Woher wollen Sie wissen, dass Benedek mich nicht zurückstiehlt?«
Sie war wie ein unschuldiges Lamm, das unbedarft unter die Wölfe gefallen war. Obwohl er keine Veranlassung sah, sie über das ganze Ausmaß seiner Winkelzüge zu informieren, sollte sie doch wenigstens eine gewisse Vorstellung von der Welt bekommen, in die sie geraten war. »Das würde er bestimmt – weswegen ich bei allem, was ich schreibe, sehr vorsichtig bin. Aber eine Null wie Benedek ist meine geringste Sorge. In dieser Gegend werden Tausende von Komplotten geschmiedet, Aufstände angezettelt. Viele andere Nationen beobachten uns genau und stehen bereit, den Dingen einen Schubs in die Richtung zu geben, die ihnen am besten passt.«
»Dann liest man Ihre Briefe also gleichfalls?«, fragte sie und sah noch erstaunter drein als zuvor.
»Und sie schicken ihre Spione auf meine Ländereien, und ihre Diplomaten versuchen, mich von ihren Ansichten zu überzeugen«, sagte Dumitru. »Bedenken Sie, dass ich den Begriff Diplomat im weitest möglichen Sinne benutze. Denn hier gibt es kein Gesetz außer meinem eigenen, und deswegen schicken diese Staaten Leute her, die keine Skrupel kennen.«
Sie machte immer noch nicht den Eindruck, als würde sie ihm das alles abnehmen. »Aber warum?«
Er zuckte die Achseln, nahm noch einen Schluck. »Es hat eher mit dem Symbolcharakter zu tun als mit der
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