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Nacht des Verfuehrers - Roman

Nacht des Verfuehrers - Roman

Titel: Nacht des Verfuehrers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce Gabi Langmack
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war, verfluchen oder für ihren erfreulichen Scharfsinn küssen sollte, wie unpassend eine solche Geste in dieser ernsten Lage auch sein mochte. »Wie kommen Sie darauf, einen derartigen Vorwurf zu erheben?« Er versuchte, Zeit zu gewinnen; er war Täuschungsmanöver gewohnt, nur hatten die sich immer in den Sphären der Politik zugetragen. Er war fähig, Spione aus einem halben Dutzend Ländern nach seiner Pfeife tanzen zu lassen, doch wie er mit dieser einen Frau umgehen sollte, wusste er nicht.
    Alcyones Stirnfalten wurden tiefer; ihr Mienenspiel war für ihre zarten Gesichtszüge viel zu grimmig. Dumitru konnte förmlich sehen, wie sich die Argumente in ihrem Kopf ordentlich aneinanderreihten. »Erstens war da der
sechstägige Ritt, obwohl ich doch den festen Eindruck gewonnen hatte, dass das Anwesen des Barons in der Nähe von Orsova liegt. Zweitens haben Sie mich zum Altar gejagt, ohne mir Zeit zu lassen, mich wenigstens umzuziehen. Abzuwarten wäre unter den gegebenen Umständen viel vernünftiger gewesen – es sei denn, Sie hatten Angst, ich könne den Schwindel bemerken, bevor Sie mich am Altar und im Bett hatten.«
    Sie holte sichtlich Luft. »Drittens haben Sie nie explizit behauptet, Baron Benedek János zu sein, nicht einmal, als ich nachgefragt habe, und auch wenn Sie mir zu verstehen gegeben haben, dass wir uns im Banat befinden, haben Sie es nicht ausdrücklich erklärt. Vermutlich wollten Sie mich ja nicht direkt anlügen, damit ich nicht allzu verärgert bin, wenn Sie mir die Wahrheit sagen, insbesondere wenn man bedenkt, dass die Eheschließung in Anbetracht des Täuschungsmanövers juristisch anfechtbar ist. Viertens sind Sie nicht katholisch, was mir Benedek Jànos aber versichert hatte. Fünftens habe ich während der Hochzeitszeremonie zu keinem Zeitpunkt den Namen ›Benedek János‹ ausgesprochen, während sie den meinen sehr wohl genannt haben, also muss ich stattdessen einen anderen Namen gesagt haben. Sechstens sprechen hier alle eine Sprache, bei der es sich nicht um Ungarisch handelt. Siebtens und schlussendlich haben Ihre Dienstboten Sie heute Abend fast ein halbes Dutzend Mal mit einem Titel angesprochen, der nicht ›Baron Benedek‹ lautet.«
    Dumitru sank das Herz, dennoch wollte ein kleiner Teil von ihm aufstehen und ihr applaudieren. Doch er zwang sich, mit möglichst ruhiger Stimme zu fragen: »Und für wen halten Sie mich?«

    Alcy sah ihn unverwandt an. »Sie besitzen ein Schloss und haben viele Untergebene, also neige ich zu der Annahme, dass Sie, genau wie Baron Benedek, ein Adeliger sind. Allerdings sind Ihre Leute orthodox und sprechen kein Ungarisch, sondern eine Sprache mit vielen lateinischen Worten. Sie können Baron Benedek also offenkundig nicht einfach aus dem Weg geräumt und seinen Platz eingenommen haben. In Anbetracht der Umstände und der Entfernung, die ich zurückgelegt habe, müssen Sie Rumäne sein – Walache, um genau zu sein.«
    Dumitru setzte sich zurück, starrte die Frau ihm gegenüber an. Er wusste nicht, was er von ihr halten sollte. Er hatte ihre Zurückhaltung anfangs als Scheu aufgefasst, aber sie war scharfzüngig bis zur Tollkühnheit, wann immer sie vergaß, dass sie schüchtern wirken wollte. Er hätte in der Lage sein müssen, das erste Anzeichen ihres Verdachts herauszuhören, doch auch wenn vielerlei Gefühle über ihr ausdrucksstarkes Gesicht gehuscht waren, hatte sie sie immer sofort hinter einem höflichem Interesse verborgen, das so steif wirkte, als sei es eine aufgemalte Maske. Das machte es schwer, ihr irgendeinen substantiellen Gedankengang zuzutrauen. Die Aura der Künstlichkeit wurde durch die Tatsache komplettiert, dass sie zu schön war, um wahr zu sein. Große grüne Augen, schwarze Wimpern, ein Teint wie Milch und Rosen – die atemberaubende Nachbildung eines sehr teuren Kinderspielzeugs, das Porzellangesicht und die kostbaren Kleider wie aus dem edelsten Modemagazin. Hätte sie bei ihrer Ankunft im Schloss von der Reise nicht etwas mitgenommen gewirkt, er hätte auf der Stelle nach künstlichen Nahtstellen bei ihr gesucht.

    Er hatte in den Pariser Salons viele schöne Frauen getroffen, und jede von ihnen war mit einer obskuren, beinahe hochmütigen Selbstgefälligkeit aufgetreten – dem Wissen, dass sie die bewundernden Blicke der Männer auf sich zog, wo immer sie war. Bei den Klügsten von ihnen paarten sich strahlendes Lächeln und schlagfertiger Witz mit einem entsprechenden Temperament, und die Männer lagen ihnen

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