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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Zukunft?
    Sie hatte kaum an Renko gedacht, bis sie ihre Überwachungsaktion am Ende des Tages aufgab und im IML vorbeischaute, um nachzusehen, ob der tote Russe transportbereit war. Als sie feststellte, daß dem nicht so war, machte sie sich auf die Suche nach Dr. Blas. Schließlich fand sie den Direktor an einem Labortisch bei der Arbeit.
    »Ich untersuche etwas«, sagte Blas. »Keine offizielle Ermittlung, aber Sie haben so auf der Spritze herumgeritten, daß ich glaube, daß Sie es besonders interessant finden werden.«
    Er arbeitete mit einem auf ein Mikroskop montierten Camcorder.
    Das Okular war entfernt worden, so daß die Kamera direkt auf einen mit grauer Paste bedeckten Objektträger gerichtet war. Der Camcorder war über ein Kabel mit einem Zwölfzollmonitor verbunden, auf dem man eine vergrößerte Version der Paste mit Farbabstufungen von Teerschwarz bis Kalkweiß sah. Vor dem Monitor lag die Balsamierspritze. »Rufos Nadel?« fragte Ofelia.
    »Ja, die Spritze, die aus diesem Institut, aus meinem eigenen Labor, gestohlen wurde. Peinlich, aber auch aufschlußreich, denn das Gewebe in einer Hohlnadel ist als Probe so gut wie jede Biopsie, müssen Sie wissen.«
    »Sie haben es herausgedrückt und untersucht?«
    »Aus reiner Neugier. Weil wir Wissenschaftler sind«, sagte Blas, während er den Objektträger millimeterweise unter der Linse der Kamera bewegte. »Von hinten nach vorn: Hirngewebe und Blut, das Rufos Blutgruppe entspricht, Knochen, Cochleagewebe aus dem Innenohr, Haut und dann wieder Blut und Haut. Interessant ist das letzte Blut, das eigentlich das erste Blut in der Hohlnadel war. Sagen Sie mir, was Sie sehen.«
    Der Bildschirm war wie ein Fischteich von Zellen, größeren roten sowie kleineren mit weißen Kernen. »Blutzellen.«
    »Schauen Sie genauer hin.«
    Bei Blas lernte man immer etwas, dachte sie. Auf den zweiten Blick schienen zahlreiche der roten Zellen zerquetscht oder aufgeplatzt wie überreife Granatäpfel. »Irgendwas stimmt nicht mit ihnen. Eine Krankheit?«
    »Nein. Was Sie sehen, ist ein Schlachtfeld«, erklärte er, »ein Schlachtfeld mit ganzen Blutzellen, Fragmenten von Blutzellen und Klumpen von Antikörpern. Dieses Blut ist im Zustand der Hämolyse, es führt Krieg.«
    »Gegen sich selbst?«
    »Nein, diese Art Krieg findet nur statt, wenn zwei verschiedene Bluttypen miteinander in Kontakt kommen. Pineros und…?«
    »Renkos?«
    »Höchstwahrscheinlich. Ich hätte liebend gern eine Blutprobe des Russen.«
    »Er sagt, er sei nicht verletzt worden.«
    »Ich sage das Gegenteil.« Er klang entschieden, und wenn Blas eine derart entschiedene Diagnose verkündete, hatte er fast immer recht.
    »Werden Sie die Proben auf Drogen untersuchen?« fragte Ofelia.
    »Das ist nicht nötig. Sie waren bei der Obduktion nicht dabei, aber ich kann Ihnen sagen, daß wir an Rufos Armen Spuren früherer Einstiche gefunden haben. Wissen Sie, was eine neue Spritze für einen Konsumenten wert ist? Das beweist, daß Rufo zwei Waffen hatte.«
    »Aber Renko lebt, und Rufo ist tot.«
    »Das ist zugegebenermaßen wirklich verblüffend.«
    Ofelia dachte an den Riß in Renkos Mantel. Der stammte von dem Messer. Warum sollte der Russe eine Wunde, die ihm mit der Nadel zugefügt worden war, unerwähnt lassen?
    Blas hatte mittlerweile registriert, daß sie immer noch ihr rückenfreies Top und die Shorts trug. Ihre schwarzen Locken glänzten, ihre braune Haut schimmerte. »Im nächsten Monat findet übrigens in Madrid ein Treffen statt, an dem ich teilnehmen muß. Ich könnte jemanden brauchen, der mir mit dem Projektor und den Schaubildern hilft. Sind Sie schon einmal in Spanien gewesen?«
    Der Doktor war beliebt bei den weiblichen Mitgliedern des Personals. Eine Einladung, ihn zu einer internationalen Konferenz zu begleiten, war am Institut heiß begehrt. Er war hoch angesehen, manchmal sogar ehrfurchtgebietend, hatte Verbindung in höchste Regierungskreise, und alles, was Ofelia ernsthaft gegen ihn vorbringen konnte, war seine Unterlippe, die, halb verborgen in seinem sauber gestutzten Bart, immer feucht war. Doch das reichte irgendwie.
    »Das klingt sehr nett, aber ich muß mich um meine Mutter kümmern.«
    »Criminalista Osorio, ich habe Sie jetzt schon zu zwei Konferenzen eingeladen, beide wichtig und beide an faszinierenden Orten. Und jedesmal sagen Sie, daß Sie sich um Ihre Mutter kümmern müssen.«
    »Sie ist wirklich sehr gebrechlich.«
    »Nun, ich hoffe, sie erholt sich bald

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