Nacht in Havanna
fröhlich unter Deck eines lecken Schiffs arbeitete, die Kolben schmierte, das Wasser abpumpte und das Schiff irgendwie in Bewegung hielt, während es schon in den Wellen versank.
»Beschweren sich die Nachbarn nicht über den Lärm?«
»In diesem Gebäude wohnen nur Sergej und eine Tänzerin, und die sind beide ständig unterwegs. Im Nebenhaus auf der einen Seite ist ein privates Restaurant, das keine Polizeivisiten gebrauchen kann, weil sie das günstigenfalls ein Abendessen kosten würde. Auf der anderen Seite lebt ein Santero, und den will die Polizei ganz bestimmt nicht behelligen. Seine Wohnung ist wie ein Atomraketensilo voll afrikanischer Geister.«
»Ein Santero?«
»Ein Anhänger des Santeria-Kults.«
»Und er ist ein Freund von Ihnen?«
»Auf dieser Insel ist es immer gut, einen Santero zum Freund zu haben.«
Arkadi betrachtete das Bild des Havana Yacht Club, weil er immer noch davon überzeugt war, daß sich dann eine geheime Botschaft verbarg, die er nicht verstand. Wenn er dafür schon zusammengeschlagen wurde, wollte er wenigstens wissen, warum.
»Wer hat das Foto gemacht?«
»Irgendein Passant. Wissen Sie, als Mongo und ich Sergej zum erstenmal gesehen haben, stand er neben seinem qualmenden Auto am Straßenrand«, sagte Erasmo. »Niemand hält für einen Wagen mit russischen Nummernschildern, aber ich habe eben ein weiches Herz für alte Genossen. Pues, wir haben den Wagen repariert, nur eine neue Schelle für einen der Schläuche; und als wir uns unterhalten haben, ist mir aufgefallen, wie wenig dieser Mann von Kuba gesehen hatte. Zuckerrohrfelder, Traktoren, Kombinate, ja. Aber keine Musik, keinen Tanz, keinen Spaß. Er war wie ein wandelnder Toter. Ich hatte, ehrlich gesagt, nicht geglaubt, ihn je wiederzusehen. Doch gleich am nächsten Tag war er in der Avenida Primera, als ich dort mit einem Drachen gefischt habe.» »Mit einem Drachen?«
»Eine wundervolle Art zu fischen. Jedenfalls merkte ich, daß dieser Russe, dieser Bär von einem Mann, auf dem Bürgersteig stand und mir zusah. Also habe ich ihm gezeigt, wie es geht. Dazu muß ich erklären, daß man Russen sonst nie allein trifft, sie bewegen sich immer in Gruppen und passen aufeinander auf. Sergej war anders. Im Gespräch hat er dann erwähnt, wie sehr er sich eine Wohnung am Malecon wünschte. Ich hatte die Zimmer oben, die ich sowieso nie benutzt habe, und so führte eins zum anderen.« Für einen Behinderten war Erasmo geradezu permanent in Bewegung. Er rollte rückwärts zum Kühlschrank und kam mit zwei gekühlten Dosen Bier zurück. »51er Kelvinator, der Cadillac unter den Kühlschränken.«
»Danke.«
»Auf Sergej!« schlug Erasmo vor. Sie tranken, während seine Augen den Schaden an Arkadi taxierten. »Das muß aber eine ziemlich lange Treppe gewesen sein, die Sie hinuntergefallen sind. Schicker Mantel. Vielleicht ein bißchen warm?«
»In Moskau ist es jetzt Januar.«
»Ach so.«
»Sie sprechen sehr gut russisch.«
»Ich war als Sprengstoffexperte der kubanischen Armee in Afrika, wo ich zur Arbeit mit den Russen abkommandiert wurde. Ich kann auf zehn verschiedene Arten auf russisch sagen: >Tritt nicht auf die verdammte Landmine.< Aber russische Jungen sind ja so stur, also hat der Gute sich in sehr kleine Stücke gesprengt, und ich habe dabei beide Beine verloren. Als lebendes Symbol der internationalistischen Pflichterfüllung und zur Kompensation meiner fehlenden Glieder wurde ich mit meinem eigenen Lada geehrt. Aus diesem Lada habe ich zwei Jeeps gemacht, und plötzlich hatte ich eine Werkstatt. Dafür muß ich ihm danken.«
»Gott?«
»El Commandante.« Erasmo beschrieb eine Geste, als würde er über seinen Bart streichen.
»Fidel?«
»Genau der. Kuba ist eine große Familie mit einem wunderbaren, fürsorglichen, paranoiden Papa. Vielleicht könnte man so auch Gott beschreiben, wer weiß? Wo haben Sie gedient?«
»In Deutschland. Berlin.« Arkadi hatte dort zwei Jahre lang die Funksprüche der Alliierten überwacht.
»Vorposten und Schutzwall des Kommunismus.«
»Der bröckelnde Damm.«
»Zu Staub zerfallen. Bleibt nur noch das arme Kuba, eine Frau, nackt und bloß vor der ganzen Welt.«
Darauf tranken sie, die erste Nahrung, die Arkadi seit einem Tag zu sich genommen hatte, mit dem Alkohol als leichtem Betäubungsmittel. Er dachte an den schwarzen Fischer, den Olga Petrowna mit Pribluda gesehen hatte. Zur Botschaft gehen und sich verstecken konnte er auch noch später.
»Ich würde Mongo gern
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