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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Pribludas Autoschlüssel. Möglicherweise war er sogar in der Verfassung zu fahren. Als er nach unten stolperte, pulsierten die Stufen unter seinen Füßen. Von der Haustür aus sah er die Mädchen mit den beiden Streifenpolizisten schäkern und scherzen. Hinter ihnen erstrahlte der kubanische Himmel in dunkelblau eingefaßtem Gold, kein simpler Sonnenuntergang, sondern eher eine Kreuzung aus Tag und Nacht. Als ein Wagen vorbeituckerte, ein zweisitziger Saporoschez, der schwarzen Qualm hustete, schlüpfte Arkadi in den langen Schatten der Arkade.
    Ofelia saß in einem kirschroten rückenfreien Top und abgeschnittenen Jeans mit Minnie-Mouse-Aufnäher auf der Gesäßtasche in einem aquamarinblauen 55er DeSoto vor dem Hotel Rojo und fragte sich, ob es der Zigarrenqualm war, der die Männer verrückt machte. Oder irgendwas in dem Rum oder die zwei Löffel Zucker im Cafe Cubano. Wenn sie noch ein junges kubanisches Mädchen am Arm eines fetten, kahlköpfigen, mittelalten, spanisch stammelnden Touristen sah, würde sie zur Mörderin. Sie hatte schon genug von ihnen eingebuchtet. Manche waren Familienväter, die noch nie untreu gewesen waren, es jedoch plötzlich unnatürlich gefunden hatten, eine Woche in Havanna ohne chica zu verbringen. Doch die meisten von ihnen gehörten zu dem menschlichen Abschaum, der wegen der kubanischen Mädchen kam, so wie sie zuvor nach Bangkok oder Manila gereist waren. Es war kein Mädchenhandel mehr, es war offener Sextourismus. Und um Weiß ging es ohnehin nicht. Was die Touristen auf Kuba wollten, waren mulattas oder negritas. Je weiter aus dem Norden ein Europäer kam, desto größer war seine Lust auf schwarze Mädchen.
    Das Hotel Rojo war ursprünglich ein Motel, zehn Einheiten mit Terrassen und Schiebetüren aus Aluminium um einen Swimmingpool. Eine stämmige Frau in einem Hauskleid saß lesend auf einem Metallstuhl in einem geteerten und grüngestrichenen Vorgarten. Im Büro gab es ein Gästebuch sowie eine Auswahl an Kondomen, Bier, Rum und Tropicola. Das sichere Anzeichen dafür, daß etwas nicht stimmte, war das saubere Wasser des Pools. Das war für die Touristen.
    Gäste kamen und gingen. Inzwischen war Ofelia Expertin darin, einen Deutschen (rosa) von einem Engländer (bläßlich) oder einem Franzosen (Safarishorts) zu unterscheiden, doch worauf sie wartete, war eine kubanische Uniform. Das Gesetz war nutzlos. Das kubanische Recht entschuldigte sexuelle Annäherungsversuche seitens der Männer, weil man das für einen unabänderlichen maskulinen Charakterzug hielt, so daß die Beweislast, daß ein Mädchen diesen Annäherungsversuch initiiert hatte, bei Ofelia lag. Und jede Kubanerin, die älter als zehn war, wußte, wie man einen Mann dazu brachte, den ersten Schritt zu tun; selbst ein heiliger Hieronymus wäre davor nicht gefeit.
    Die Polizei war noch schlimmer als nutzlos, sie belauerte die Mädchen und verlangte Geld dafür, daß sie ihnen Zutritt zu Hotellobbys gewährte, sie in den Yachthäfen herumspazieren ließ und ihnen erlaubte, Touristen mit ins Hotel Rojo zu nehmen, das eigentlich den ehelichen Aktivitäten kubanischer Paare vorbehalten war, die zu Hause nicht genug Privatsphäre hatten. Nun, die jineteras hatten das gleiche Problem und konnten mehr zahlen.
    Gäste kamen und gingen, die Mädchen steuerten ihre Freier in die Rezeption wie kleine Schlepper. Ofelia ließ sie ziehen. Irgend jemand mit Macht und Einfluß hatte die Casa del Amor eingerichtet, und mehr als alles andere wünschte Ofelia sich, daß irgendein schmieriger PNR-Offizier seinen kleinen Betrieb überprüfte, sie in dem Wagen sitzen sah und sie einlud, sich seiner Herde von Pferdchen anzuschließen. In der Strohtasche lagen ihre Dienstmarke und eine Waffe. Was für ein Gesicht würde er wohl machen, wenn sie sie zückte? Vaya.
    Manchmal hatte Ofelia das Gefühl, daß sie einen Kampf gegen die ganze Welt führte, einen mickrigen kleinen Privatfeldzug gegen eine inzwischen beinahe offizielle Industrie. Das kubanische Ministerium für Tourismus riet von wirklich durchgreifenden Maßnahmen gegen die jineteras dringend ab, weil das die wirtschaftliche Zukunft des Landes gefährde. Und wenn Prostitution offiziell mißbilligt wurde, warum fügte man dann stets hinzu, daß die kubanischen Prostituierten die schönsten und gesündesten auf der Welt seien?
    In der vergangenen Woche hatte sie eine zwölfjährige jinetera auf der Plaza de Armas aufgegriffen. Nur drei Jahre älter als Muriel. War das die

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