Nacht in Havanna
von der äußeren Erscheinung nicht abschrecken. Die Insel ist ein veritabler >Cour de Miracles< wie im mittelalterlichen Paris, wo die Lahmen wieder gehen und die Blinden wieder sehen konnten, weil all diese Autos nach fünfzig Jahren immer noch fahren. Das liegt daran, daß kubanische Mechaniker aus schierer Notwendigkeit die besten der Welt sind. Können Sie das Radio ein bißchen lauter stellen?«
Der Lautstärkeregler ließ sich tatsächlich noch weiter aufdrehen, vielleicht ein kubanisches Radio, dachte Arkadi. Die heftigen Schläge, die unter dem Jeep hervorhallten, ließen seine Schläfen pochen.
»Sie verkaufen also Autos?« rief Arkadi.
»Ja und nein. Einen alten Wagen von vor der Revolution, ja. Um einen neuen Wagen zu kaufen, braucht man eine Genehmigung von den höchsten Stellen, den allerhöchsten. Das Schöne an unserem System ist, daß auf Kuba kein Auto aufgegeben wird. Es sieht vielleicht manchmal so aus, aber der Schein trügt.« Noch ein Schlag. »Die Wanne, die Wanne, die Wanne!«
Mit einer einzigen Bewegung zog der Mechaniker die Ölwanne unter die Karosserie, während er selbst auf seinem Rollwagen unter dem Fahrzeug hervorschoß, mit den Händen an einem Turm aus Reifen abbremste und sich aufrichtete. Er war ein robuster Typ mit dem Grinsen eines Mannes, der gerade knapp einer Katastrophe entronnen war. Er sah überhaupt aus wie ein Testpilot nach einer interessanten Landung, so daß Arkadi erst mit einiger Verzögerung bemerkte, daß der Overall des Mechanikers mit Lederflicken an den Knien endete. Als der Mann sich das Gesicht abwischte und seine Mütze abnahm, stellte sich sein Haar zu einer graumelierten Mähne auf, die so einzigartig war, daß Arkadi ihn sofort als den kleinen Mann auf Pribludas Foto vom Havana Yacht Club wiedererkannte, nur daß er noch viel kleiner war, als Arkadi erwartet hatte.
»Erasmo Aleman«, stellte er sich vor. »Sie müssen der neue Russe sein.«
»Ja.«
»Ich habe schon auf Sie gewartet.«
Erasmo bewegte sein Rollbrett mittels zweier mit Reifenprofil beschlagener Holzböcke in Höchstgeschwindigkeit durch seine Werkstatt. Er wusch sich an einem tiefer montierten Waschbecken die Hände und trocknete sie an einem Haufen Lappen ab. Das Radio lief jetzt nur noch auf halber Lautstärke. »Ich habe gesehen, wie eine Polizistin Sie vor ein paar Tagen in Sergejs Wohnung gebracht hat, aber Sie sehen irgendwie verändert aus.«
»Jemand hat versucht, mir Baseball beizubringen.«
»Offenbar nicht Ihr Sport.« Erasmos Blick wanderte von dem Bluterguß auf Arkadis Wange zu dem Pflaster an seinem Haaransatz. »Ist das Sergej?« Arkadi zog den Schnappschuß von Pribluda und dem Yacht-Club hervor. »Ja.«
»Und?« Arkadi zeigte auf den schwarzen Fischer. »Mongo«, sagte Erasmo, als wäre das offensichtlich. »Und Sie.«
Erasmo bewunderte das Foto. »Ich sehe gut aus.«
»Der Havana Yacht Club«, las Arkadi die Rückseite vor. »Ein Witz. Wenn wir ein Segelboot gehabt hätten, hätten wir uns als Marine bezeichnet. Wie dem auch sei, ich habe von der Leiche gehört, die man auf der anderen Seite der Bucht gefunden hat. Ich glaube nicht, daß das Sergej ist. Er ist zu stur und zu zäh. Ich habe ihn seit Wochen nicht gesehen, aber er könnte jederzeit hereinspazieren und irgendeine Geschichte über ein Schlagloch erzählen, in das er in Oriente gefahren ist. In Oriente gibt es viele Schlaglöcher, die man noch vom Mond aus sehen kann.«
»Wissen Sie, wo sein Wagen ist?«
»Nein, aber wenn er irgendwo herumstände, würde ich ihn erkennen.«
Erasmo erklärte, daß die Nummernschilder für das diplomatische Korps schwarz auf weißem Grund waren und Pribludas Kennzeichen 060 016 lautete; 060 für die russische Botschaft und 016 für Pribludas Rang. Kubanische Nummernschilder waren entweder blau, rot, weiß und grün für staatseigene Fahrzeuge oder gelb für Privatautos.
»Ich will es mal so sagen«, erklärte Erasmo, »es gibt staatseigene Wagen, die sich nie von der Stelle bewegen, damit die Privatautos fahren können. Ein Lada, der hier ankommt, ist wie ein Organspender, damit Willys Jeeps nie stillstehen. Sie entschuldigen mich.« Er drehte eine Salsa leiser, die außer Kontrolle zu geraten drohte. »Das Radio läuft, damit die Polizei behaupten kann, sie würde mich nicht hören, weil man seine Wohnung eigentlich nicht in eine Werkstatt verwandeln darf. Und Tico hat es sowieso gern laut.«
Arkadi glaubte, Erasmo zu verstehen, der Typ Maschinist, der
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