Nacht in Havanna
sobald das Gefährt von der Ladefläche geholt war und er darin Platz genommen hatte, machte er Arkadi ohne viel Worte deutlich, daß der sich unterstehen sollte, ihm Hilfe anzubieten. Der Mechaniker navigierte in halsbrecherischem Zickzackkurs über zerbrochene Flaschen zu einer Reihe Swimmingpools mit brackigem Wasser, unter denen sich nur einen Schritt tiefer ein Korallenriff mit Meerwasserbecken von unruhigem Grün erstreckte. Zwischen den Betonblöcken, die dem Riff als Wellenbrecher vorgelagert waren, und den Korallen schnorchelten Taucher im Meer.
»Sie jagen mit Speeren nach Tintenfischen«, sagte Erasmo, als Arkadi ihn eingeholt hatte. »Vor der Revolution konnte man hier in Süß- oder Salzwasserbecken oder im Meer schwimmen. Eine permanente Party, amerikanische Freunde, die den Mambo lernten.« Er wies mit dem Kinn auf ein Haus, wo auf einem hölzernen Balkon im zweiten Stock Laken wie Segel auf einer Leine flatterten. »Das Haus meiner Großmutter. Sie trug eine Zobeljacke und hatte statt einer Brille eine Lorgnette, wie es für Frauen einer bestimmten Klasse üblich war. Hier bin ich mit einem Dreirad mit Fähnchen am Lenker rumgekurvt, was ich gewissermaßen noch immer tue.«
»Haben Sie noch Verwandte hier?«
»Sie haben das Land alle schon vor langer Zeit verlassen. Mit dem Flugzeug, einer Yacht oder einem Paddelboot. Und wenn man weggeht, ist man offiziell natürlich ein Verräter, ein gusano, ein Wurm. Man kann nicht einfach anderer Meinung als Fidel sein, dann ist man gegen Fidel, gegen die Revolution, ein Verbrecher, ein Schwuler oder ein Zuhälter. Auf diese Weise ist nur der Abschaum gegen Fidel.«
Arkadi betrachtete das Haus. Es war ziemlich imposant. Erasmos Haar und Bart waren vom Wind zerzaust. »Sie wollten hier nicht leben?«
»Ich habe früher hier gewohnt. Ich habe es gegen eine Wohnung getauscht, wo eine Garage nicht so auffällig ist. Mongo wohnt jetzt hier.«
»Sie sind alte Freunde?«
»Alte Freunde. Er kommt häufiger nicht zur Arbeit, müssen Sie wissen, aber bisher hat er mir jedesmal Bescheid gesagt.«
Sie manövrierten den Rollstuhl rückwärts eine Treppe hinauf und durch Wohnzimmer, Eßzimmer, Hof und einen weiteren Salon, die alle in getrennte Wohnungen unterteilt worden waren, die größeren Räume mittels Sperrholz und Laken sogar in zwei, so daß das Haus eine ventable ciudadela war, wie Erasmo es nannte, eine kleine Stadt. Er klopfte an eine der Türen im hinteren Teil des Hauses. Als niemand antwortete, bat er Arkadi, auf dem Türrahmen nach dem Schlüssel zu tasten.
»Dies war mein Zimmer, wenn ich zu Hause geschlafen habe. Manche Dinge verändern sich nie. Ich habe es geliebt. Hier war ich Captain Kidd.«
Das Zimmer hatte einen derart weiten Blick auf das Meer, daß es für einen Jungen, der mit Piratengeschichten aus der Karibik aufgewachsen war, ein Theater der Phantasie gewesen sein mußte, dachte Arkadi. Ansonsten war der Raum beengt: eine Pritsche, eine Seekiste, ein Schreibtisch und ein Regal mit Abenteuerromanen wie Don Quijote, Ivanhoe und Die Schatzinsel sowie einem CD-Player und einem mit rotem Samt eingefaßten Spiegel. Auf den Fensterbänken lagen Kokosnußschalen und Muscheln, daneben stand ein von Papierblumen umkränzter Plastikheiliger. Von der Decke hing ein Lkw-Reifenschlauch, der gleichzeitig als Puffer und Kronleuchter diente. An Fischernetzen entlang der Wände hingen Schwimmflossen, Angelrollen, Kerzen, Stöcke und Gefäße mit nach Größe geordneten Angelhaken. Unter dem Bett standen ein Werkzeugkasten, Öldosen, Trommeln und Kürbisflaschen. An einem Haken über dem Bett hingen so etwas wie eine Armbrust ohne Bogen, ein langer hölzerner Lauf mit einem Pistolengriff und Abzug sowie drei dicke Gummibänder.
»Eine Harpunenbüchse«, sagte Erasmo. Er ließ Arkadi die Waffe herunternehmen und zeigte ihm, wie man das verlängerte Ende in die Hüfte stemmte und die Gummibänder spannte. Der Speer selbst war ein Stahlbolzen mit abnehmbarer doppelzinkiger Spitze. »Der kubanische Fischer stellt seine Beute an allen Fronten.« Arkadi interessierte sich mehr für die Fotos von Boxern an der Wand.
»Kid Chocolate, Kid Gavilan, Teofilo Stevenson. Mongos Idole«, sagte Erasmo.
Unter einem Zeitungsfoto von Fidel in einer Sparringspose mit einem großen hageren Kämpfer stand die Unterschrift: El Jefe con eljoven pugilista Ramon Bartelemy.
»Sie haben doch gesagt, sein Name wäre Mongo.«
Erasmo zuckte die Achseln, als ob das keiner
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