Nacht in Havanna
Erklärung bedurfte. »Ramon, Mongo, das ist dasselbe. Und wenn man ihn am dringendsten braucht, ist er der Wendige Mongo. So haben wir ihn genannt, als er noch geboxt hat.«
Das Bild der kubanischen Boxer vor dem Eiffelturm war identisch mit dem Foto, das Arkadi in Rufos Zimmer gesehen hatte, nur daß er jetzt erkannte, daß der Boxer neben Rufo Ramon »Mongo« Bartelemy war.
»Was glauben Sie, wo er sich aufhält, wenn er nicht hier ist?«
»Ich weiß es nicht. Sein Schlauch ist hier. Arkadi, haben Sie etwas dagegen, wenn ich Sie nach der Polizei frage. Bis zu der Vorstellung beim Santero standen zwei Streifenbeamte vor dem Haus. Ich weiß, daß sie keine Russen mögen, aber wollen Sie mir vielleicht was darüber erzählen? Schließlich lebe ich auch dort.« Arkadi fand, daß das eine verständliche Frage war. »Möglicherweise hat Sargento Luna etwas damit zu tun.«
»Luna. Dieser Luna, er ist wie der Neumond, unsichtbar, aber präsent. Ein Mann, dem man besser nicht in die Quere kommt, ganz zu schweigen von einer Demütigung vor seinen Freunden. Als Feind eine erlesene Wahl. Und jetzt sind die Polizisten verschwunden. Möglicherweise wäre es Ihnen doch lieber, sie wären noch da, für den Fall, daß er zurückkommt.«
»Den Gedanken hatte ich auch schon.«
»Sind Sie derart wild entschlossen, Sergej zu finden?«
»Entweder das, oder ich kriege heraus, was mit ihm passiert ist.«
»Sie sollten anfangen, darüber nachzudenken, was Ihnen passieren könnte. Sie haben keinerlei Autorität und tun zum Glück nicht einmal so, als würden Sie unsere Sprache sprechen. Ermitteln können Sie also sowieso nicht, Sie könnten bloß in etwas verwickelt werden.«
»In was?«
»Kuba ist sehr kompliziert. Aber einfach ausgedrückt, wenn Sie Ihren Kopf nicht in einem Eimer wiederfinden wollen, halten Sie sich von Luna fern. Ich sage Ihnen das, weil ich mich für gestern abend ein wenig verantwortlich fühle. Ich will nicht noch mehr Schuldgefühle haben müssen.«
Arkadi stieß die Läden weiter auf. Unter einer tiefstehenden Sonne schlugen Wellen gegen eine ablandige Brise, und zwei neumäticos, die auf dem Kamm einer Welle ritten, kamen in Sicht. Sie tauchten nacheinander unter der Woge durch und im nächsten Wellental wieder auf wie Reiter auf versunkenen Pferden. »Und wo ist Mongo, wenn sein Schlauch hier ist?«
»Das bedeutet nicht, daß er nicht fischen ist.«
Als Arkadi und Erasmo wieder ans Ufer kamen, navigierten die neumäticos mit kurzen Paddeln um die Wellenbrecher herum. Gischt brodelte zwischen dem Riff und den Steinen. Die Fischer mußten den Schwung der Brandung ausnutzen, und Arkadi dachte, daß das Riff ein ausgezeichneter Ort wäre, um sich den Kopf anzuschlagen.
»Wann geht Mongo aufs Meer?«
»Das weiß man nie. Neumäticos fischen bei Tag oder Nacht, an einer Stelle der Bucht oder einer anderen. Ich denke, man muß das Fischen in einem Reifenschlauch als die hohe Kunst der Improvisation betrachten. Man kann dicht am Ufer bleiben oder meilenweit aufs Meer hinauspaddeln, wo die Charterboote nach Marlinen fischen. Den Skippern gefällt es natürlich gar nicht, wenn ein paar Kubaner ihren Touristen den Fang vermasseln.«
»Die neumäticos versuchen Marline zu fangen?«
»Sie könnten es zumindest. Sie sind wie Bojen, sie lassen sich so lange von dem Fisch ziehen, bis er müde ist. Vielleicht könnte ein Fisch sie bis nach Florida schleppen, wer weiß? Aber sie müssen den Fisch natürlich zurückbringen, stimmt’s? Würden Sie gern in einem Reifenschlauch einen Marlin an Land ziehen? Nein. Ein weiteres Problem sind die Barrakudas, weil die nach allem schnappen. Ein Barrakuda auf dem Schoß ist kein Vergnügen. Also jagen sie normalerweise nach kleineren Fischen. Mit einigem Erfolg, vor allem nachts, aber dann muß man wieder Taschenlampen und Laternen mitnehmen, außerdem locken die Reifenschläuche nachts Haie an, das würde mir auch nicht gefallen. Deswegen fahren neumäticos immer zu zweit los, zur Sicherheit.«
»Immer zu zweit?«
»Unbedingt, falls einem der beiden schlecht wird oder er seine Schwimmflossen verliert.«
»Haben sie Funkgeräte dabei?«
»Nein.«
»Und was genau könnte ein neumätico tun, wenn sein Freund von einem Hai gefressen wird?«
Erasmo zog langsam die Brauen hoch. »Nun, in Kuba haben wir eine große Auswahl an Religionen.«
Was Arkadi gefiel, war die Unaufdringlichkeit der Fischer, die Art, wie sie eins wurden mit der Bewegung des Meeres, auftauchten
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