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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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über den Malecon zu brausen, während Erasmo halb über der Wagentür hing und lautstark Freunde begrüßte, vermittelte Arkadi in der Tat eine andere Sicht der Dinge. Die PNR-Streife bedachte der Mechaniker gleich mit einer obszönen Geste.
    »Professionelle hijos de putas«, erklärte er. »Ich bin ein capitalino, gebürtig aus Havanna. Wir verachten die Polizisten, das sind alles Bauerntrottel. Und die können uns nicht leiden. Es ist Krieg.«
    »Okay.«
    Einige Häuser waren spanische Schlösser aus rosafarbenem Sandstein oder Bürogebäude mit Reihen von schrägen Fensterladen. Die Sonne löste sich in Licht und Farben auf. Während Arkadi nach Luna Ausschau hielt, kommentierte Erasmo den Gegenverkehr. »Ein 50er Chevy Styleline, ein 52er Buick Roadmaster, ein 58er Plymouth Savoy, ein 57er Cadillac Fleetwood. Sie können sich glücklich schätzen, so einen zu sehen.« Außerdem nötigte er Arkadi, bei jedem Mädchen abzubremsen, das am Straßenrand den Daumen hoch hielt. Mit ihren knalligen Leggings, Tops und Haarspangen sahen sie alle aus wie Madonna, die Sängerin, nicht die Muttergottes.
    »Ist es nicht gefährlich für Mädchen, per Anhalter zu fahren?« fragte Arkadi. In Moskau wagten das nur Prostituierte oder alte Frauen.
    »Wenn die Busse nicht fahren, müssen die Mädchen eben andere Mitfahrgelegenheiten finden. Außerdem sind die kubanischen Männer vielleicht Machos, aber sie haben auch Ehrgefühl.« Alle Mädchen, die Arkadi sah, steckten mitten in der Pubertät, trugen bauchfreie Tops oder enge bunte Trikots und streckten ihre Daumen offenbar für Eunuchen heraus. Erasmo entdeckte eine Anhalterin in flammendem Orange. »Wenn man so ein Mädchen sieht, sollte man wenigstens hupen.«
    »Hat Pribluda gehupt?«
    »Nein. Russen haben keine Ahnung von Frauen.«
    »Glauben Sie?«
    »Wie würden Sie eine Frau beschreiben?«
    »Intelligent, humorvoll, künstlerisch.«
    »Reden Sie von Ihrer Großmutter, oder was? Ich meine, eine Frau. Wie die Frauen hier. Criolla: sehr spanisch, sehr weiß. Wie Isabel, die Tänzerin. Negra: afrikanisch, schwarz, was sehr abstoßend, aber auch sehr sexy sein kann. Dazwischen mulatta: caramelfarben, eine Haut weich wie Kakao, Augen wie eine Gazelle. Wie Ihre Freundin, die Criminalista.«
    »Sie haben sie gesehen?«
    »Sie ist mir aufgefallen.«
    »Warum beschreiben Männer Frauen immer in Kategorien des Genießbaren?«
    »Warum nicht? Und für die meisten kubanischen Männer die beste: china, eine mulatta mit einem leichten chinesischen Einschlag, sehr exotisch! Und jetzt beschreiben Sie eine Frau für mich.«
    »Ein Messer im Herz.« Sie fuhren eine Weile schweigend weiter. »Das ist nicht schlecht«, sagte Erasmo.
    »Als Sie mich von der Straße aus gerufen haben, haben Sie mich bolo genannt. Was bedeutet das?«
    »Bowlingkugel. So nennen wir die Russen. Bolos.«
    » Wegen unserer…?«
    »Körperlichen Eleganz.« Erasmo grinste mit einem Augenzwinkern. Der Mechaniker hatte ein breites Gesicht mit lebhaftem Ausdruck und mächtige Schultern. Mit Beinen wäre der Mann ein wahrer Herkules gewesen, dachte Arkadi.
    »Apropos chinesisch«, sagte er, »gibt es donnerstags in Havanna irgendwelche chinesischen Veranstaltungen?«
    »Chinesische Veranstaltungen? Da sind Sie in der falschen Stadt, mein Freund.«
    Unbestreitbar, dachte Arkadi.
    Sie fuhren an Hochhäusern vorbei, die schmuddelig waren wie abgegriffene Postkarten, bis der Malecon von einem Tunnel verschluckt wurde. Als sie in Miramar wieder herauskamen, dirigierte Erasmo Arkadi über eine öde Straße am Wasser entlang, die Avenida l. Sie kamen am Sierra Maestra vorbei, dem Apartmenthaus, in dem Arkadi den Fotografen Mostowoi befragt hatte. Erasmo wies ihn auf ein Kino namens El Teatro Karl Marx hin, das früher das Teatro Charlie Chaplin gewesen war, und wenn es ein besseres Beispiel für sozialistischen Humor gab, fiel es Arkadi nicht ein. Hinter dem Kino stand eine Reihe von Häusern in abblätternden Pastellfarben mit verwitterten Familienwappen und Terrassen mit neuen Betonbänken. Erasmo wies Arkadi an, den Wagen auf dem Bürgersteig zu parken, weil das sicherer sei als auf der Straße. »Zumindest für die Reifen«, fügte der Mechaniker hinzu. »Dies ist eine Insel von Kannibalen. Erinnern Sie sich an Überleben! Der Film mit dem Flugzeugabsturz? Fidel ist unser Pilot, aber er würde einen Absturz wohl eher eine spezielle Periode nennen.«
    Erasmo hatte einen zusammenklappbaren Rollstuhl mit Fahrradreifen, und

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