Nacht ist der Tag: Roman (German Edition)
zu beleidigen, sagte sie. Ich glaube, du gehst jetzt besser nach Hause.
Ich bin hier nicht zu Hause, sagte Hubert und trank sein Glas leer.
Jill nahm es ihm ab und sagte, wenn er wolle, könne er bei ihr übernachten.
Als Hubert erwachte, stand Jill am Fenster und zog die Vorhänge auf. Draußen schien strahlend die Sonne. Jill kam zu ihm und setzte sich auf den Rand des Bettes.
Gut geschlafen?
Wann bist du denn nach Hause gekommen?, fragte er.
Jedenfalls nicht so spät, dass ich am Morgen nicht aus den Federn komme. Wenn du mit mir frühstücken willst, musst du dich beeilen.
Nachdem Jill zur Arbeit gegangen war, rief Hubert auf ihrem Computer seine Mails ab und beantwortete die wichtigsten. Obwohl er gestern Abend ziemlich betrunken gewesen war, hatte er das Auto genommen. Jetzt ging er zu Fuß zum Kulturzentrum, er hatte es nicht eilig.
Vor dem Gebäude stand ein alter Minivan mit deutschem Kennzeichen. Eine junge Frau trug eine große Holzkiste ins Haus. Hubert hielt ihr die Tür auf. Erst dann bemerkte er das hellblaue Plakat, das so über das größere schwarze geklebt war, dass es aussah wie ein Fenster in einem dunklen Raum. Die Stelen, die er gestern in der Eingangshalle aufgestellt hatte, standen in einer Ecke, auf dem Boden lag ein Stapel von Aluminiumrahmen, die in Noppenfolie gewickelt waren. Die junge Frau war in einem der Gästezimmer verschwunden und kam kurz darauf wieder heraus. Sie trat auf Hubert zu und streckte ihm die Hand hin. Ich bin Thea. Hubert, sagte er. Ach so, sagte sie. Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass ich jetzt hier ausstelle. Er zuckte mit den Schultern und packte eine der Stelen und trug sie in sein Zimmer.
Den Rest des Tages verbrachte er damit, einzelne Fäden aus den Tischsets zu ziehen, bis nur noch so wenige übrig waren, dass man die ursprüngliche Form gerade noch erkennen konnte. Irgendwann war von draußen Musik zu hören und die nervöse Stimme eines Radiosprechers. Hubert ging in die Eingangshalle, wo Thea dabei war, ihre Bilder auszupacken und an die Wand zu lehnen. Auf dem Boden stand zwischen dem Verpackungsmaterial ein kleines Transistorradio mit blechernem Klang. Er bat sie, das Gerät abzustellen. Kein Problem, sagte sie. Ich kann nicht arbeiten bei dem Lärm, sagte Hubert aufgebracht. Kein Problem, sagte Thea noch einmal. Ich habe nicht gewusst, dass du noch hier bist.
Gegen Abend ging Hubert spazieren. Er nahm den Weg zu Jills Haus. Hinter sich hörte er ein Auto. Erst als es neben ihm anhielt, bemerkte er, dass es Jill war. Sie ließ die Scheibe herunter und fragte, ob er zu ihr unterwegs sei.
Im Haus war es kalt. Jill hatte kein Licht gemacht. Der blaue Himmel, der durch die Fenster zu sehen war, erinnerte Hubert an das Plakat für Theas Ausstellung. Jill setzte sich zu ihm und zündete eine Zigarette an.
Was ist das für eine Farce?, sagte Hubert.
Du meinst das Stück gestern?, fragte Jill. Das ist ja nur Spaß, du darfst das nicht zu ernst nehmen.
Ich meine das alles, sagte Hubert. Die Einladung ins Kulturzentrum, und dass ihr mir im letzten Moment den Ausstellungsraum wegnehmt und mir eine Künstlerin vor die Nase setzt, die kaum ihr Diplom in der Tasche hat. Und du in diesem lächerlichen Hotel, das kann doch nicht dein Ernst sein. Das bist doch nicht du.
Mag sein, sagte Jill, aber das Leben hier ist viel weniger anstrengend. Unsere Gäste wollen ihren Spaß, dafür bezahlen sie, und wenn sie den haben, sind sie dankbar und zufrieden.
Sie saßen sich gegenüber und schauten sich schweigend an.
Am Anfang hatte ich zu allem eine ironische Distanz, sagte Jill schließlich, aber mit der Zeit sind mir die Leute ans Herz gewachsen. Du würdest dich wundern, was für Menschen bei uns Ferien machen.
Hubert wollte etwas sagen, aber Jill unterbrach ihn.
Ich glaube, ich wollte dir das zeigen. Weil du mich damals so abgekanzelt hast und gesagt hast, ich sei nicht präsent. Sie stand auf, verbeugte sich vor ihm wie eine Schauspielerin und lächelte ihn an. Und? Gefällt dir, was du siehst?
Die verbleibenden Tage bis zur Vernissage arbeitete Hubert ununterbrochen. Er hatte die Stelen in seinem Zimmer aufgestellt. Auf einer lag der Rest des Holzscheits, an dem er herumgeschnitzt hatte, daneben die Späne, auf der nächsten die zerfaserten Tischsets, am Boden die herausgezogenen roten Fäden. Über eine Stele hatte er den aufgedrehten Strick gehängt. Er begann einige Blätter Papier mit Bleistift immer und immer wieder zu schraffieren, bis
Weitere Kostenlose Bücher