Nacht-Mähre
leicht auf ihr saß, daß sie ihn kaum bemerkte. Der Boden war fest und beinahe flach, so daß sie traben konnte.
»Das ist aber eine seltsame Bodenform«, meinte der Fremde, als sie fast unter dem hervorragenden Felsgestein wie unter einem Dach daherritten. »Oben so steil, unten so eben.«
»Das ist der Faux-Paß«, sagte Imbri mit Hilfe eines Träumchens. »Vor einigen Jahrhunderten stampfte der Riese Faux gen Norden, und seine Knie waren von Wolken verhüllt, so daß er den Bergzug hier nicht sehen konnte. Da ist er plötzlich mit dem linken Fuß hängengeblieben und fast gestolpert. Er war ein sehr großer Riese, und ein solcher Sturz hätte in Xanth ganz gewaltige Verwüstungen angerichtet. Aber er hat sich noch rechtzeitig wieder gefangen und mit seinem Fehltritt lediglich ein fußgroßes Stück aus dem Gebirgszug getreten, was eine Lücke gerissen hat, durch die andere Lebewesen später reisen und wandern konnten. Deshalb hat man den Paß nach ihm benannt, obwohl die Leute die Worte heutzutage etwas nachlässig aussprechen und ihn einfach den ›Fo-Pah‹ nennen.«
»Eine entzückende Geschichte!« sagte der Mann und tätschelte Imbri auf die Schulter. »Eine faszinierende Ableitung: Faux-Paß – der Riesenfehltritt. Ich vermute, daß dieser Begriff irgendwann zum sprachlichen Allgemeingut werden wird, denn viele Leute begehen mal den einen oder anderen Fehltritt.«
Sie verließen den Paß an der Nordseite, wo sich vor ihnen eine große, mit sattem, hohem Gras bewachsene Ebene erstreckte. Imbri war entzückt – hier würde sie nach Herzenslust grasen können.
»Ich glaube, da ist eine Spur«, sagte der Mann. »Dort drüben.« Er machte eine Geste.
Imbri zögerte, weil sie nicht genau wußte, welche Richtung er gemeint hatte, die Geste war etwas verwirrend gewesen. Sie wollte durchaus das Tagpferd wiederfinden; er war ein so gutaussehendes Tier – und männlich dazu. Sie schritt nach links.
»Nein, das ist die falsche Richtung«, sagte der Mann. Wieder machte er eine verwirrende Geste.
Imbri schwenkte nach rechts. »Immer noch falsch«, sagte er.
Imbri blieb stehen. »Ich weiß nicht, welche Richtung du meinst«, projizierte sie irritiert, wobei ihr Traummädchen allerliebst durch zerzauste Haarsträhnen spähte.
»Ist auch nicht deine Schuld«, meinte der Mann. »Ich liebe deine kleinen einfallsreichen Bilder. Du hast überhaupt keine Schwierigkeiten damit, dich verständlich zu machen. Meine mündlichen Anleitungen sind einfach zu ungenau, und mit meinen menschlichen Gesten bist du offensichtlich nicht vertraut. Aber ich glaube, dieses Problem können wir lösen.« Er sprang von ihrem Rücken und holte etwas aus seinen Kleidern hervor. Es war ein kleiner Messingstab, an dessen Enden Riemen befestigt waren. »Steck das hier in deinen Mund, hinter deine Vorderzähne.« Er drückte ihr den Stab gegen das Maul, so daß sie ihn entweder annehmen oder zurückweichen mußte. Zweifelnd öffnete sie das Maul und nahm den Stab auf, zwischen ihre pferdische Lücke zwischen Vorder- und Hinterzähnen.
»So, jetzt werde ich an diesen Zügeln ziehen«, erklärte er. »Dann weißt du genau, in welche Richtung ich will. Hier, ich mach’s dir mal vor.« Er sprang wieder auf und packte die beiden Riemen. »Diese Richtung«, sagte er und zerrte am rechten Zügel.
Das Geschirr drückte höchst ungemütlich gegen ihre Hinterzähne. Um den Druck zu lindern, drehte Imbri den Kopf nach rechts. »Prächtig, du hast es begriffen!« rief der Mann. »Du bist wirklich ein sehr kluges Pferd!«
Doch es war nicht die Intelligenz, sondern der Schmerz gewesen. »Ich mag dieses Gerät nicht«, projizierte Imbri.
»Ach nein? Das tut mir aber leid. Versuchen wir es jetzt einmal mit links.« Er riß am anderen Zügel, und an ihrer linken Kieferseite zuckte und schmerzte es.
Doch Imbri hatte jetzt genug davon. Sie blieb stehen, stemmte alle viere fest gegen den Boden und versuchte, die Trense auszuspucken. Sie schmeckte sowieso scheußlich. Doch die Zügel hielten das Gebißteil fest. Es war enervierend. Sie schickte ihm einen wütenden Traum, der ihr Traummädchen in rechtschaffenem Zorn zeigte, mit wehenden Locken. »Geh von meinem Rücken runter, Mann!«
»Du mußt mich schon mit meinem richtigen Titel ansprechen«, erwiderte der Mann. »Man nennt mich den Reitersmann.«
Der Reitersmann! Plötzlich kehrte Imbris verschollene Erinnerung zurück. Ihre Botschaft hatte ›Vorsicht vor dem Reitersmann‹ gelautet – und jetzt
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