Nacht-Mähre
ahnte sie bereits ein wenig, was das bedeuten konnte.
»Vorsicht vor dem Reitersmann, eh?« wiederholte der Mann, und Imbri begriff, daß sie ihren Gedanken im Traum laut ausgesprochen hatte. Wütend ließ sie ihr Mädchenbild in einer Rauchwolke explodieren, doch das beeindruckte den Mann nicht. »Also trägst du eine Botschaft mit dir herum, mit der du andere vor mir warnst! Welch ein glücklicher Zufall das doch ist, Mähre, daß ich dich getroffen habe! Jetzt kann ich es mir gar nicht mehr erlauben, dich gehen zu lassen. Ich muß dich mit zu mir nach Hause nehmen und dich einsperren, damit du mich nicht verraten kannst.«
Imbri wußte nicht, was sie tun sollte, deshalb fuhr sie fort, nichts zu tun. Ahnungslos hatte sie sich in die Gewalt genau jener Person begeben, die sie hätte meiden müssen!
»Zeit für den Heimweg«, meinte der Reiter. »Ich werde später zurückkommen, um das Tagpferd einzufangen. Du bist eine viel zu wertvolle Gefangene, als daß ich dich entfliehen lassen möchte. Soweit ich weiß, könnt ihr Nachtmähren nachts durch festes Gestein dringen und euch sogar unsichtbar machen. Das bedeutet, daß ich dich vor Anbruch der Dunkelheit in sicherem Gewahrsam haben muß. Los, Mähre beweg dich!« Imbri weigerte sich. Es stimmte: Er konnte sie nachts nicht halten, selbst wenn er wach blieb und noch so sehr aufpaßte; wenn er jedoch schlief, würde sie ihm einen solch schlimmen Traum schicken, daß er davon wie gelähmt sein würde. Die Zeit war auf ihrer Seite. Doch sie hatte nicht die Absicht, ihm einen Augenblick länger entgegenzukommen, als wirklich notwendig war. Sie würde ihre Hufe weiterhin fest in den Boden rammen, bis sie wußte, wie sie ihn abwerfen konnte.
»Ich habe übrigens noch ein nettes kleines Gerät, das dich vielleicht amüsieren wird«, bemerkte der Reiter. »Das bringt Pferde zum Gehen.« Und er schlug seine Hacken in ihre Flanken.
Ein stechender Schmerz durchzuckte sie. Seine Stiefel waren ja mit Messern bewehrt! Noch bevor sie es selbst bemerkte, jagte Imbri bereits, vom Schmerz getrieben und wie benommen, davon. Pferde reagierten normalerweise auf Angst oder Schmerz mit Flucht, da das Davonlaufen in der Regel die beste Verteidigung war.
»Na, gefallen dir meine Sporen?« fragte der Reiter. Er zog am linken Zügel und zwang sie, diesen Weg einzuschlagen.
Imbri versuchte zu bremsen, doch die Sporen trieben sie erneut an. Als nächstes versuchte sie einen Ausfall nach rechts, doch da drückte die Trense derart scharf auf ihr Gebiß, daß ihr keine andere Wahl blieb, als nach links abzubiegen. Der Reitersmann hatte sie seinem schrecklichen Willen unterworfen!
Kein Wunder, daß das Tagpferd vor diesem entsetzlichen Mann geflohen war! Wenn sie doch nur vorher erkannt hätte, welch ein Wesen der Reitersmann hatte! Wenn sie doch nur nicht so töricht gewesen wäre, ihre Warnungsbotschaft zu vergessen! Doch nun mußte sie den Preis für ihre Unaufmerksamkeit zahlen.
Der Reitersmann trieb sie wieder zurück durch den Faux-Paß und dann, entlang der Südseite des Gebirges, gen Westen. Imbri gab es auf, gegen ihren Herrn anzukämpfen und mußte feststellen, daß es erstaunlich leicht war, seinen Anweisungen zu folgen. Der Reiter tat ihr nicht weh, solange sie ihm keinen Widerstand entgegensetzte.
Doch er begnügte sich nicht damit, sie gezähmt zu haben. Er wollte außerdem noch Informationen. »Wer hat dir die Warnung aufgetragen?« fragte er.
Imbri zögerte. Der Reitersmann berührte ihre wunden Flanken mit seinen schrecklichen Sporen – es waren gar keine richtigen Messer, sie fühlten sich nur wie solche an –, und sie entschied, daß es nicht schaden würde, wenn sie Antwort gab. Sie sandte ihm einen kleinen Traum, in der sie selbst eine Frauengestalt annahm, die sich in Ketten befand, blutende Wunden an der Seite und eine Messingstange im Mund. »Ver hrrrscht übrrr d’ Mchte drr Ncccht«, sagte sie um das Gebißteil herum.
»Halte mich nicht zum Narren, Mähre!« sagte der Reitersmann und berührte sie erneut mit seinen Sporen. »Im Traum kannst du völlig klar und verständlich reden.«
Sie mußte ihre List aufgeben. »Er herrscht über die Mächte der Nacht«, wiederholte sie. »Der Nachthengst. Der teilt die abzuliefernden Träume zu. Und er hat auch die Nachricht losgeschickt.«
»Der Nachthengst«, wiederholte der Reiter nachdenklich. »Ist der in seinem Tun auf die Nacht allein beschränkt?«
»Auf den Kürbis«, erklärte Imbri. »Der schützt uns bei
Weitere Kostenlose Bücher