Nacht-Mähre
Tag.« Jetzt wünschte sie sich, daß sie ihn niemals verlassen hätte!
»Erklär mir das«, befahl er. »Ich kenne nur den Hypnokürbis, den mit dem kleinen Guckloch. Wenn man in ihn hineinblickt, wird man sofort hypnotisiert und kann sich weder bewegen noch sprechen, bis jemand anders den Blickkontakt für einen unterbricht.«
»Das ist er, ja«, sagte Imbris in Lumpenfetzen gehülltes Traummädchen traurig. Sie verabscheute es, dem Feind so viele Informationen zu geben, aber sie konnte sich nicht vorstellen, wie diese spezielle Neuigkeit dem Mann helfen sollte. Leider war er schon informiert genug, um nicht in einen Kürbis zu spähen.
»Wir Nachtmähren sind die einzigen Wesen, die ungehindert in den Kürbis hinein und wieder hinaus gelangen können. Alle Kürbisse sind gleich, jeder von ihnen öffnet sich auf dieselbe Nachtwelt. Wenn jemand in einen beliebigen Kürbis späht, wird sein Körper steif und reglos, sein Geist jedoch nimmt in der Kürbiswelt Gestalt an und muß sich seinen Weg durch unser Labyrinth der Scheinwelten bahnen. Wer zu lange bleibt, der läuft Gefahr, seine Seele zu verlieren; dann wird sein Körper nie mehr richtig funktionieren.«
»Hm, das ist also eine Art Falle, ein Gefängnis«, murmelte er grübelnd. »So etwas Ähnliches hatte ich schon vermutet. Ich bin froh, daß du es vorgezogen hast, mir die Wahrheit zu sagen, Mähre. Wie viele Geister passen dort hinein?«
»Beliebig viele. Der Kürbis ist auf seine Weise genauso groß wie ganz Xanth. Das muß er ja auch sein, denn er enthält Träume für jeden Bewohner Xanths, und nicht zwei Träume sind gleich. Für uns im Kürbis erscheint der Rest von Xanth als so klein, daß man ihn fast unter einem von deinen Armen mit sich herumtragen könnte.«
»Ja, das leuchtet mir jetzt ein. Sehr interessant! Wir können eure Welt herumtragen, und ihr könnt unsere herumtragen. Das ist alles relativ.« Einen Augenblick später fiel ihm noch eine weitere Frage ein. »Wem solltest du die Nachricht eigentlich überbringen?«
Nun widerstand Imbri, denn sie war sicher, daß dies den Krieg entscheidend beeinflussen würde. Doch der Reitersmann bohrte seine Sporen erneut in die Flanken, und der Schmerz war so entsetzlich, daß sie es ihm einfach sagen mußte. Sie hatte noch nie Schmerzen ertragen müssen, weil die in nichtstofflicher Form einfach nicht existierten. Deshalb konnte sie damit auch nicht wirklich umgehen. »Ich sollte Chamäleon mit dieser Nachricht für den König aufsuchen.«
»Wer ist Chamäleon?«
»Die Mutter von Prinz Dor, dem nächsten König. Sie ist eine häßliche Frau.«
»Warum sollst du die Botschaft dem König nicht unmittelbar überbringen?« Die Sporen waren drohend erhoben.
»Ich weiß es nicht!« Das Traummädchen zuckte zusammen und legte schützend die Hände an die Seiten.
Da berührten die Sporen ihre Flanken. Verzweifelt schmückte Imbri ihre Geschichte aus. »Meine Mission sollte geheim sein! Vielleicht war das alles ja eine Finte. Wenn ich der Frau Meldung machte, würde diese die Nachricht an den König weiterleiten. So würde niemand vermuten, daß ich die Verbindungsmähre zwischen König und Kürbis bin.«
»Dann ist der König also ein wichtiger Mann? Nichts kann ohne seine Anweisung geschehen, was?«
»Der König herrscht über die Menschen in Xanth«, stimmte Imbri ihm zu. »Er ist wie der Nachthengst – sein Wort ist Gesetz. Ohne sein Wort gäbe es auch gar kein Gesetz.«
»Ja, das leuchtet mir ein«, sagte der Reitersmann, und diesmal berührten die Sporen sie nicht. »Wenn du dem König unmittelbar Meldung gemacht hättest, hätte der Feind Lunte gerochen. Das hätte den Wert der Warnung erheblich vermindert. Nun, ich glaube, es ist das beste, wenn ich ihren Wert gänzlich mindere, indem ich sie nämlich gar nicht erst weiterleiten lasse. Denn sie trifft natürlich zu. Dein Nachthengst scheint bestens informiert zu sein. Aber ich bin selbst im Augenblick damit beschäftigt, Informationen über den Gegner zu sammeln. Dein Hengst hat natürlich das Agentennetz seiner Nachtmähren zur Verfügung. Ihr Mähren habt in unseren Hirnen herumspioniert, während wir schliefen, nicht wahr? Vor euresgleichen kann es keine Geheimnisse geben.«
»Nein, wir liefern bloß die Alpträume ab!« protestierte Imbri, und ihre Berufsehre überwand plötzlich ihr Verlangen, den Reitersmann in die Irre zu führen. »Wir können nicht feststellen, was in den Köpfen der Lebewesen vorgeht. Wenn wir das könnten,
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