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Nacht-Mähre

Titel: Nacht-Mähre Kostenlos Bücher Online Lesen
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Fensterbolzen waren so schlimm verrostet, daß sie kaum noch zu gebrauchen oder überhaupt zu erkennen waren. Der Schloßgraben bestand aus einem stinkenden Teich grauen Schleims.
    »Das muß es sein«, bemerkte Chamäleon.
    Imbri schritt zwischen Grabanlagen hindurch und über die baufällige Zugbrücke. Sie blieb im entmaterialisierten Zustand, so daß sie so gut wie kein Gewicht hatte, sonst wäre es riskant geworden.
    Am Haupteingang stellte sich ihnen ein Zombiewächter in den Weg. »Halsch!« rief er und verlor ob dieser Anstrengung gleich seinen Kehldeckel.
    »Ach, ich mochte Zombies noch nie so recht«, meinte Chamäleon. Doch sie nahm sich zusammen, um dem Ding zu antworten. »Wir sind gekommen, um mit dem Zombiemeister zu sprechen. Es ist dringend.«
    »Hrrr ntlngg«, sagte der Zombie. Er machte kehrt und verlor dabei ein Stück aus seinem Arm. Zombies konnten ständig Körperteile verlieren, ohne jedoch dabei an Masse abzunehmen. Das war Teil ihrer Magie.
    Sie folgten ihm ins Schloß. Nachdem sie die verfallenen Außenmauern erst einmal hinter sich gelassen hatten, erlebten sie einen erstaunlichen Wechsel. Im Inneren war das Gestein fest und sauber, das Holz war gesund und poliert. Saubere Vorhänge drapierten den Saal, und es gab keinerlei weitere Anzeichen für Verfall oder Fäulnis.
    »Millie muß sich mit dem Zombiemeister darauf geeinigt haben, daß er draußen mit dem Schloß machen kann, was er will, während sie im Inneren Regie führt«, murmelte Chamäleon. »Ein guter Kompromiß, wie ihn Männer und Frauen öfters eingehen.«
    »Häh?« fragte jemand.
    Aus der Wand war plötzlich ein großes Menschenohr gesprossen, während sich daneben ein Mund öffnete.
    Chamäleon lachte. »Sagt eurer Mutter, daß sie Besuch hat, Hi.«
    Nun erinnerte sich Imbri wieder: Der Zombiemeister hatte Zwillingskinder namens Hiatus und Lacuna, die jetzt elf Jahre alt waren.
    »Dann trag dich ein, Dumpfbacke«, sagten die Lippen.
    Vor ihnen befand sich ein großes Gästebuch. Chamäleon stieg ab und schritt darauf zu. »Ach, sieh mal, wer sich schon alles vor uns hier eingetragen hat!« rief sie. »Satan, Luzifer, Gabriel, Jack the Ripper, König Roogna…«
    »Lackys Talent besteht darin, Gedrucktes zu verändern«, erinnerte Imbri sie in einem Träumchen.
    »Ach so, ja!« Chamäleon trug sich in das Buch ein und sah genau zu, damit sich ihre Unterschrift nicht in etwas Scheußliches verwandelte. Dann stellte Imbri ihren rechten Vorderhuf auf die Seite und unterschrieb mit ihrer Mondkarte, auf der in Blocklettern MÄHRE IMBRIUM hervorgehoben war.
    »Chamäleon! Wie schön, dich einmal wiederzusehen!« Das war Millie, das ehemalige Gespenst. Ihr Talent war der Sex-Appeal, und wie Chamäleon auch blieb sie auch im zunehmenden Alter ihrem Wesen treu. Sie war inzwischen ungefähr achtundvierzig Jahre alt, von denen freilich nur vierzig zählten, und sah genauso hübsch aus wie ihre Besucherin.
    Die beiden Frauen umarmten sich. »Ist lange her!« rief Chamäleon. »Seit deinem letzten Besuch auf Schloß Roogna müssen doch inzwischen gut acht Jahre vergangen sein, nicht wahr?«
    »Ja, und damals sind wir bloß gekommen, weil der arme Jonathan eine Weile König sein mußte. Das war schrecklich! Er mag sich nicht in die Politik einmischen.«
    Chamäleon wurde wieder ernst. »Ich habe schlechte Nachricht für dich, Millie.«
    Millie musterte sie scharf und wurde ebenfalls wieder ernst. »Bist du dienstlich hier?«
    »Ja, es ist schrecklich, und es tut mir furchtbar leid, aber…«
    »Der König…«
    »Ist krank. Zu krank, um zu regieren…«
    »Dein Sohn Dor…«
    »Ist ebenfalls krank.«
    »Chamäleon, das ist ja furchtbar! Aber…«
    »Der Zombiemeister muß jetzt König werden, wie damals, bis die Krise vorüber ist.«
    Millie sah völlig entsetzt aus. »König Trent… ja ja, er wurde auch langsam alt… wir wußten ja, daß er irgendwann… aber dein Sohn ist doch auf dem Höhepunkt seiner Kräfte…«
    »Er wurde verzaubert.«
    Millie starrte sie einen langen Augenblick wortlos an. Dann begann ihr Gesicht seinen Zusammenhalt zu verlieren, als wollte sie wieder zu einem Gespenst werden. »Ich war Dors Kindermädchen! Ich habe ihn immer gemocht – und er hat Jonathan für mich gerettet. Er hat das Elixier besorgt, das Jonathan wieder ganz gemacht hat. Und damit hat er mir mein Glück wiedergegeben. Ich schulde ihm wirklich alles. Wie konnte ihm nur so etwas zustoßen?«
    »Er hat geheiratet. Dann wurde er König. Dann

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