Nacht ohne Ende
Interviews, als Ergänzung zu der Videoaufnahme. Auf diese Weise würde sie später, wenn sie ihren Text schrieb, nicht im Schneideraum sitzen und sich das Video ansehen müssen, um das Interview zu hören, sondern konnte es auf ihrem winzigen Recorder abspielen.
Sie hatte den Kassettenrekorder nicht bewusst eingesteckt. Er gehörte zu ihrem beruflichen Handwerkszeug und war kein Gegenstand, den man in den Urlaub mitnahm. Aber trotzdem, dort war er, zwischen allerlei Krimskrams tief unten auf dem Boden ihrer großen Tasche vergraben, wie ein kostbarer kleiner Schatz, der nur darauf wartete, ausgegraben zu werden. Tiel stellte sich vor, wie er eine schimmernde, goldene Aura ausstrahlte.
Sie schloss ihre Finger um das kleine Aufnahmegerät und ließ es genau in dem Moment in ihrer Hosentasche verschwinden, als Sabra einen lauten Schrei ausstieß. Verzweifelt blickte Ronnie sich nach Tiel um. »Ich komme ja schon«, sagte sie.
Sie machte den älteren Thespisjüngern verstohlen ein Zeichen, dass alles geritzt war, als sie um sie herumtrat und wieder zu Sabra zurückeilte.
Doc sah besorgt aus. »Ihre Wehen haben sich etwas verlangsamt, aber wenn sie eine hat, ist sie sehr heftig. Wo zum Teufel bleibt bloß dieser Arzt? Wieso dauert das denn so lange?«
Tiel wischte Sabras schweißnasse Stirn mit einem Gazetupfer ab, den sie mit kaltem Trinkwasser angefeuchtet hatte. »Wenn er hierher kommt, wie effektiv kann er dann sein? Was wird er unter diesen Umständen tun können?«
»Hoffen wir nur, dass er eine gewisse Erfahrung mit Steißgeburten hat. Vielleicht wird er Ronnie und Sabra auch davon überzeugen können, dass ein Kaiserschnitt dringend angeraten ist.«
»Und wenn keines von beiden der Fall ist...?«
»Das wäre schlecht«, erwiderte er grimmig. »Für alle Beteiligten.«
»Können Sie ohne einen Aspirator auskommen?«
»Ich hoffe doch, dass der Arzt einen mitbringt. Das sollte er eigentlich.«
»Was, wenn sich Sabras Muttermund nicht stärker geweitet hat?«
»Ich zähle darauf, dass die Natur ihren Lauf nimmt. Eventuell dreht sich das Baby ja doch noch von selbst herum. So was kommt vor.«
Tiel streichelte beruhigend den Kopf des Mädchens. Sabra schien im Moment zu dösen. Die letzten Phasen des Geburtsvorgangs hatten noch nicht einmal begonnen, und sie war bereits erschöpft. »Es ist nur gut, dass sie zwischendurch diese kurzen Nickerchen machen kann.«
»Ihr Körper weiß, dass er später alle Kraft brauchen wird, die er aufbringen kann.«
»Ich wünschte, sie müsste nicht so leiden.«
»Leiden ist die Hölle, allerdings«, murmelte er, fast so, als spräche er mit sich selbst. »Der Arzt kann ihr eine Injektion geben, um die Schmerzen zu lindern. Manchmal schadet das dem Fötus nicht. Aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Ie näher der Augenblick der Entbindung rückt, desto riskanter ist es, ihr Medikamente zu verabreichen.«
»Was ist mit einer Rückenmarksbetäubung? Wird das nicht oft in den letzten Wehenphasen gemacht?«
»Ich bezweifle, dass der Arzt unter diesen Umständen eine Blockierung der Rückenmarksnerven versuchen wird, obwohl er durchaus zuversichtlich sein könnte.«
Nach einem Moment des Nachdenkens sagte Tiel: »Ich glaube, den natürlichen Weg zu gehen und auf jegliche Schmerzmittel zu verzichten, ist Schwachsinn. Ich schätze, das macht mich zu einer Schande für das weibliche Geschlecht.«
»Sie haben Kinder?« Als sich ihre Blicke trafen, fühlte es sich für Tiel an, als wäre sie ganz leicht direkt unterhalb des Bauchnabels angestupst worden.
»Ah, nein.« Sie senkte hastig die Augen. »Ich will damit nur sagen, wenn und falls ich jemals Kinder bekomme, werde ich darauf bestehen, dass sie mich bis zur Halskrause mit Schmerzmitteln voll pumpen.«
»Ich verstehe Sie sehr gut.«
Und Tiel hatte den Eindruck, dass er sie tatsächlich verstand. Als sie ihn erneut anblickte, hatte er seine Aufmerksamkeit wieder Sabra zugewandt. »Haben Sie Kinder, Doc?«
»Nein.«
»Vorhin haben Sie eine Bemerkung über Töchter gemacht, die mich auf den Gedanken brachte -«
»Nein.« Er hielt locker Sabras Handgelenk umfasst, während er mit Mittel-und Zeigefinger ihren Puls fühlte. »Ich wünschte, ich hätte ein Blutdruckmessgerät. Und sicherlich wird der Arzt ein Fetuskop mitbringen.«
»Das...«
»Das den Herzschlag des Fötus überwacht. Die Krankenhäuser benutzen jetzt teure Ultraschallgeräte. Aber ich würde mich für ein Fetuskop entscheiden.«
»Wo haben Sie Ihre
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