Nacht über Algier
Polizisten eingelocht, Monsieur Thobane. Sie klagen ihn an, aus Eifersucht ein Attentat auf Sie verübt zu haben. Aber es zeigt sich, daß der arme Bulle nichts damit zu tun hat. Daß Sie Opfer Ihrer Vergangenheit geworden sind, die Sie endlich eingeholt hat. Ich habe keine Ahnung, wie sich der Täter die Waffe meines Kollegen beschafft hat, aber er hatte allen Grund, Ihnen übelzuwollen. Er wollte sich und die Seinen rächen, die auf Ihren Befehl hin in der Nacht vom 12. auf den 13. August 1962 in der Nähe von Sidi Ba hingerichtet wurden, wo Sie als der Linkshänder gewütet haben. In jener Nacht sind unter anderem drei äußerst wohlhabende Familien liquidiert worden: die Khai'ds, die Ghanems und die Bahass'. Kein Überlebender, kein Erbe. Ihr Besitz wurde der Kriegsbeute zugeschlagen, die wiederum persönlichen Zwecken, nämlich den Ihren, zugeführt wurde. Bei den Talbis gab es allerdings einen, der mit dem Leben davongekommen ist: Belkacem, bekannt als der Namenlose, der seit 1971 hinter Gittern saß und aufgrund der Präsidentenamnestie in diesem Herbst freigelassen wurde. Dieser Junge, der zur Zeit der Kollektivmassaker etwa zwölf Jahre alt war, hat nur überlebt, um mit Ihnen abzurechnen. Wenn er Sie nicht erwischt hat, ich erwische Sie bestimmt.«
»Die genannten Familien haben mit dem Feind kollaboriert. Sie wurden vom Standgericht des FLN verurteilt. Ihr Vermögen hat uns nicht interessiert. Die Talbis waren arm wie Hiob. Ganz Sidi Ba wußte das.«
Ich schwenke meine Mappe hin und her und knalle sie ihm schließlich vor die Nase.
Seelenruhig nimmt er sich einen Packen Fotokopien heraus.
»Was ist das?«
»Lesen Sie, das wird Ihr Gedächtnis auffrischen.«
Er wendet sich nach hinten und weist einen Gorilla an, ihm seine Brille zu bringen. Der Hinkende ist auf der Stelle wieder da. Haj Thobane setzt die Brille auf, die seine Augen übermäßig vergrößert, und blättert, anscheinend unbeeindruckt, in den Akten.
»Ich weiß nicht, was das bedeuten soll, Kommissar.«
»Es handelt sich um die Kopie der Kontobücher, die Ameur Talbi während des Krieges führte. Darin sind sämtliche Bareinzahlungen, die er zugunsten Ihres Bataillons verwaltete, sowie die von Ihnen persönlich unterschriebenen Quittungen eingetragen. Ein- und Ausgaben, die Summe der verschiedenen Schenkungen, der Geldsammlungen und Abgaben, auch der Schutzgelder, die in der Region von Sidi Ba zwischen März 1956 und Juni 1962 eingetrieben wurden, lassen sich leicht ermitteln. Wir sprechen hier von 45 Millionen alter Francs in bar, 1137 Louisdor, 12 Kilo Bruchgold, 52 Schmuckstücken mit einem Gesamtwert von drei Millionen . kurz und gut, von der Kriegsbeute, die Sie beim FLN nie angegeben und in die eigene Tasche gesteckt haben, als der Krieg vorbei war.«
»Raus!«
»Ameur Talbi war Ihr geheimer Schatzmeister. Sie haben ihn hingerichtet, ebenso wie seine ganze Familie, damit keine Spuren zurückbleiben .«
Bebend, bis ins Mark getroffen, baut sich Haj Thobane vor mir auf, eine Pistole in der Hand.
»Ich habe ein Mikro bei mir, und eine Menge Leute verfolgen genau in diesem Moment mit großem Interesse unsere Unterhaltung. Tut mir leid, aber ich mußte gewisse Vorsichtsmaßnahmen treffen. Zwei Männer sind bereits beseitigt worden, aus geringfügigerem Anlaß. Ihr Mörder vergißt - genauso wie die anderen Mörder -, daß man die Zeugen zu Tausenden töten kann, aber die Wahrheit wird man niemals ganz und gar töten.«
Seine bewaffnete Faust wird weiß an den Gelenken und zittert.
»Sie werden doch wohl nicht auf mich schießen.«
»Ich würde es mir nicht verzeihen, wenn ich mir die Hände an Ihrem Blut besudele«, brummt er. »Diese Drecksarbeit erledigen andere, die dafür bezahlt werden.«
»Ich werde aufpassen.«
»Zu spät.«
Die beiden Gorillas packen mich an den Schultern und zerren mich gewaltsam zum Ausgang. Ich verrenke mir den Hals, um dem Linkshänder ein letztes Mal meine Verachtung zu zeigen.
»Sie können das Dokument als Andenken behalten. Das Original befindet sich an einem sicheren Ort. Bis bald.«
Haj Thobane sieht seinen Männern finster hinterher, wie sie mich durch den Tropenwald schleifen.
Soria ruft mich an, um mir zu verkünden, daß sie aus Sidi Ba zurückgekehrt und alles ausgezeichnet verlaufen sei. Ihr drei Seiten langer Artikel werde morgen in den größten Tageszeitungen des Landes erscheinen und ihre Reportage in den 20-Uhr-Nachrichten gesendet. Um 19 Uhr 55 verhänge ich bei uns
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