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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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hinterlassen hat.
    Ich bin trotzdem wieder in den Chemin des Lilas gefahren.
    Ich wollte unbedingt wissen, was sich tatsächlich abgespielt hatte. Das Dienstmädchen hat lange gezögert, bevor sie mich reinließ. Seitdem ihre Herrin verschwunden ist, tut sie so, als sei sie hier zu Hause. Die Schürze hat sie im Schrank verstaut, die Haare trägt sie offen, und ihrer gebräunten Haut und ihren geröteten Augen nach zu urteilen, verbringt sie ihre Zeit damit, im Swimmingpool zu planschen, sich in der Sonne zu aalen und dabei literweise Saft zu schlürfen. Mein unangemeldeter Besuch scheint ihr die Freude zu verderben. Sie fühlt sich schuldig, in Madames Abwesenheit deren Privilegien zu genießen.
    Ich mache mir ihre Gewissensbisse zunutze und quetsche sie aus.
    »Wann genau ist sie weggefahren?«
    »Eine knappe Stunde nachdem Sie gegangen sind.«
    »Sie machte gar nicht den Eindruck, als ob sie auf dem Sprung wäre. Wußten Sie denn davon?«
    »Nein, Monsieur.«
    »Glauben Sie, daß sie das meinetwegen gemacht hat?«
    »Ich weiß nicht, Monsieur. Als Sie weg waren, ist sie in ihrem Zimmer verschwunden. Wahrscheinlich um zu telefonieren, denn sie hat mich gleich danach zu sich gerufen und mich gebeten, ihre Koffer zu packen.«
    »Und wie war sie?«
    »Was meinen Sie?«
    »War sie nervös, aufgeregt, gelassen .?«
    »Normal, so wie immer. Sie hatte es nicht eilig und war auch nicht wütend. Während ich ihre Sachen packte, hat sie sich geduscht. Ich habe ihr beim Frisieren und Schminken geholfen. Sie war ganz ruhig. Als sie abgeholt wurde, hatte sie alles erledigt.«
    »War es ein Taxi?«
    »Nein, ein großer schwarzer Wagen mit getönten Scheiben. Ein großer Herr hat ihr Gepäck entgegengenommen und sie im Kofferraum verstaut. Dann hat er Madame die Tür aufgehalten, und sie sind sofort losgefahren.«
    »Hat sie gesagt, wohin sie fährt?«
    »Nein.«
    »Oder wann sie zurückkommen würde?«
    »Madame sagt mir nie etwas.«
    »Hatte sie viel Gepäck bei sich?«
    »Genug für eine lange Reise.«
    Ich gebe ihr zu verstehen, daß diese neue Situation ein ernsthaftes Problem darstellt. Sie schluckt ein paarmal und knetet ihre Finger. Ich packe die Gelegenheit beim Schopf.
    »Ich würde mir gern ihr Zimmer ansehen.«
    Sie zuckt übertrieben zusammen, so als überrasche sie die Frage, und schaut um sich.
    »Ich weiß nicht, ob Sie das dürfen, Monsieur.«
    »Ich bin Polizist, ich darf alles.«
    Sie widerspricht nicht, versucht lediglich den Schein zu wahren, indem sie kleinlaut fragt: »Kann ich Sie begleiten?«
    »Selbstverständlich, ich muß nur einen Anruf erledigen.«
    »In der Diele steht auch ein Telefon.«
    »Ich bin allergisch gegen Zug.«
    Ich verdufte in Nedjmas Zimmer, wo alles sorgfältig aufgeräumt ist, schnappe mir das Telefon und drücke die Wahlwiederholungstaste. Gleich nach dem ersten Klingelzeichen piepst eine Sirenenstimme: »Chefsekretariat der Ermittlungsbehörde, guten Tag.«
    Ich knalle den Hörer auf die Gabel, als wäre ich beim Öffnen einer Falltür unverhofft auf den Geist meines Urahns gestoßen. Das Dienstmädchen ist verwundert über meine heftige Reaktion. Ich beruhige sie mit einer Handbewegung.
    »Das hat nichts zu bedeuten. Ich telefoniere von meinem Büro aus, das ist sicherer.«
     
    22
     
    Um zu begreifen, was sich in Algerien abspielt, muß man sich folgendes Bild vor Augen halten: Auf den Gipfeln des verlassenen Olymp versuchen in Abwesenheit des lieben Gottes vier Dämonen die Regierungsgeschäfte wahrzunehmen: Beelzebub, Luzifer, Mephisto und Satan. Das Volk am Fuße des Gebirges ist nur mehr williger Vollstrecker von Manipulations- und Täuschungsmanövern und auf dem besten Weg, seine Seele aufzugeben, um die sich die Teufel streiten.
    Kommissar Dine kann mir nicht folgen. Für ihn sind Literatur und Philosophie Ausdruck der menschlichen Dummheit. Nach eigenen Aussagen hat er, abgesehen von ein paar Nachschlagewerken, nie in einem Buch geblättert. Doch irgendwann begreift er, worauf ich hinauswill.
    »Du mußt mich wirklich hassen.«
    »Ich hasse dich nicht.«
    »Und warum ödest du mich dann mit deiner saublöden Geschichte an? Ich wollte dich einfach nur wiedersehen und bei einem Essen unter Freunden ein bißchen mit dir quatschen.«
    »Ich dachte, es würde dich interessieren, die Wahrheit zu erfahren.«
    »Die was? ... Du bist es doch, der sich dieser verfluchten Wahrheit hartnäckig verweigert. Du steckst deine Nase zuviel in Bücher, mein Lieber, und entfernst dich so

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