Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra

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von der Realität. Die ganze Wahrheit ist, daß du nichts als ein widerlicher, aufgeblasener, fetter Floh bist, der sich liebend gern in die Nesseln setzt. Du hältst dich wohl für besonders schlau. Da, wo die Dinge klar auf dem Tisch liegen, kehrt Brahim Llob noch mal alles vom Untersten zum Obersten. Was soll der Schwachsinn? Sogar der Teufel würde das Handtuch werfen. Ich bin nicht hier, um mir dein albernes Gewäsch anzuhören. Das von meiner Frau reicht mir.«
    »Sie haben ihn abgeknallt.« Dine geht hoch.
    »Nicht so laut«, zischt er mir zu.
    »Er ist ermordet worden, ganz eindeutig«, hämmere ich ungerührt auf ihn ein.
    »Ich bin nicht schwerhörig ... Um Himmels willen, sprich leise.«
    Ich berühre den Tisch fast mit dem Kinn und flüstere: »Er ist ermordet worden.«
    »Ist ja gut, jetzt halt die Klappe.«
    Er blickt sich um, doch die wenigen Gäste in unserer Nähe sind über ihre Teller gebeugt und ausschließlich mit ihrer Nachspeise beschäftigt.
    »Du phantasierst, Brahim.«
    »Kann sein .«
    »Haj Thobane hat Selbstmord begangen.«
    »Unsinn!«
    »Er hat sich das Leben genommen, so wahr ich hier stehe.«
    »Das stimmt nicht, er wurde liquidiert.«
    Dine nimmt eine Serviette und wischt sich damit den Schweiß ab, der sich unter seinem Hemdkragen gebildet hat. Meine Beharrlichkeit ist ihm nicht geheuer. Dabei hatte er mich in dieses kleine Restaurant eingeladen, um Linos Freilassung zu feiern - an der er, wie er mir zu verstehen gibt, nicht ganz unbeteiligt ist.
    »Du tickst nicht ganz richtig, Brahim. Bei dir ist eine Sicherung durchgebrannt. Haj Thobane hat sich eine Kugel in den Kopf gejagt. Dinosaurier überleben es nicht, wenn ihre Welt in Flammen aufgeht. Er war auf eine solche Katastrophe nicht gefaßt, das ist alles. Er hatte so etwas nie für möglich gehalten. Er schwebte über den Dingen. Und peng, da wird er auf einmal vom Sockel gestürzt. Was sollte er machen? Sich verteidigen? Er wußte nicht mal, was das heißt. Dementieren? So tun, als wäre nichts geschehen? Diese Leute können nicht um Verzeihung bitten. Entweder raffen sie alles an sich, oder sie verzichten auf alles. Thobane wäre nicht in der Lage gewesen, sich mit einem Leben abzufinden, in dem man ihm ständig die Hölle heiß gemacht hätte. Vor allem nicht, nachdem man ihn jahrzehntelang in den Himmel gehoben hatte. Er hätte es nicht ertragen, daß man seinem Blick standhalten und seine historische Rolle anzweifeln würde. Er hatte begriffen, daß die Würfel gefallen waren, daß es keinen Ausweg gab. Alles oder nichts. Das ist das Gesetz der Hydra, die uns regiert. Ein Gesetz, das nicht zimperlich ist. Und diejenigen, die dafür gestimmt haben, sind es auch nicht. Thobane ist genau in dem Moment gestorben, als man ihm die Gefolgschaft aufgekündigt hat. Seine extreme Tat ist nur die natürliche Folge eines Verzichts. Er hat sich entschieden, so zu sterben, wie er gelebt hat: radikal und unwiderruflich.«
    »Ja, das ist das Expose. Das eigentliche Drehbuch sieht aber viel komplizierter aus.«
    »Nur in deiner kranken Phantasie.«
    »Warum sträubst du dich, einen Moment nachzudenken, Dine?«
    »Ich hasse diese Art Gehirnakrobatik. Das artet am Ende immer aus. Mir persönlich ist es absolut egal, ob ich weiß, was im Chemin des Lilas wirklich passiert ist. Was bringt mir das außer Mordsärger?«
    Dine hatte sich auf Entspannung eingestellt, und nun mache ich ein solches Theater. Es tut mir leid, ihn zu enttäuschen, aber ich kann nicht anders. Für mich ist es wichtig zu wissen, ob ich auf meine Freunde zählen kann. Ich habe eine wahnsinnige Lust, um mich zu schlagen. Ich war in dieser Geschichte nur eine ganz gewöhnliche Marionette, das will mir nicht eine Sekunde aus dem Kopf gehen. Warum ich? Warum Lino? Lino ist Haj Thobane absichtlich in den Weg gestellt worden. Mit Hilfe eines faulen Tricks fand sich seine Pistole bei der Leiche des Namenlosen.
    Und wer ist der größte Trottel von allen?
    Wahrscheinlich ein alter Bullenmuffel, der es satt hatte, Däumchen zu drehen, und sich bereithielt, auf jeden Zug aufzuspringen, nur damit er etwas zu tun hätte. Er wollte Krawall, und er hat ihn bekommen, und zwar ausgiebig. Schonungslos. Und dabei haben sie sich auch noch ins Fäustchen gelacht.
    »Das Kapitel ist abgeschlossen, Brahim.«
    »Das heißt?«
    »Begrab die Angelegenheit, und geh zu deinen Kindern.«
    »Sie haben mich benutzt.«
    Dines Bauch wird von einem kurzen, matten Lachen geschüttelt.
    »Sie benutzen immer