Nacht über dem Bayou (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Scheußliches passiert.«
Er schaute mich ernst an, legte die in Wachspapier eingewickelte Wurst auf die Haube des Streifenwagens, steckte die Hände in die Hosentaschen und blickte hinaus auf den Fluss.
»Ich hab nur einmal einer Hinrichtung beigewohnt. Der Kerl, der seinerzeit dran gewesen ist, war ein Abartiger, und ich konnte damit gut leben. Aber wenn ich dran denke, was man 1943 mit dem kleinen Zerrang angestellt hat, frag ich mich, was die Menschheit überhaupt noch hier auf diesem Planeten verloren hat... Kommen Sie, gehn wir ein bisschen spazieren«, sagte er.
Wir gingen auf einer Holzplanke über einen Bewässerungskanal und kamen zu einem am Flussufer gelegenen Gehölz aus Zürgel- und Persimonenbäumen. Durch das Laub sah ich drei stattliche, elegante Häuser, die ein Stück weiter oben auf großen, grünen Grundstücken standen. Doch hier, zwischen den Bäumen und dem Geflecht aus Weinranken und Brombeersträuchern, befand sich ein Relikt aus Louisianas weniger ruhmreicher Vergangenheit – eine Zypressenhütte, von der nur mehr ein Haufen Bretter übrig war, einige davon angekokelt, ein Aborthaus, das eingefallen und in die darunter liegende Grube gerutscht war, ein aus Ziegeln gemauerter Kamin, dessen geborstene Trümmer wie abgebrochene Zähne im hohen Gras lagen.
»Hier hat die Familie von dem Jungen gewohnt, jedenfalls bis ein Haufen Besoffener ihre Hütte angezündet hat. Der Junge hatte einen Bruder, und der Bruder hatte einen Sohn namens Mookie. Was halten Sie davon?«, fragte er.
»Woher haben Sie das alles, Sheriff?«, erwiderte ich.
»Von meinem Vater, hab’s erst heut Morgen erfahren. Er ist jetzt zweiundneunzig. Aber sein Gedächtnis ist nach wie vor bemerkenswert. Manchmal lässt es ihm keine Ruhe.« Der Sheriff drehte mit der Stiefelspitze ein halb verkohltes Brett um.
»Ist Ihr Vater hier in der Gegend aufgewachsen?«
Der Sheriff rieb mit der einen schwieligen Hand über die Knöchel der anderen.
»Sir?«, sagte ich.
»Er war einer der Besoffenen, die ihnen das Dach über dem Kopf angezündet haben. Die Schmalztollen in Miami können nichts für jemanden wie Mookie Zerrang. Den haben wir uns selbst zuzuschreiben, Dave.«
34
Batist war an diesem Tag aus dem Krankenhaus entlassen worden, daher kaufte ich nach Dienstschluss im Lebensmittelladen in der Stadt für ihn ein und fuhr dann hinaus zu seinem Haus.
Er saß auf einem weichen Polstersessel auf der Veranda und trug ein Flanellhemd, unter dem sich die Verbände an seiner Schulter abzeichneten. Seine Tochter, eine große, vierschrötige Frau, die eher einer Indianerin ähnelte als einer Schwarzen, war im Garten neben dem Haus und klopfte mit einem alten Tennisschläger eine Steppdecke aus.
Ich erzählte Batist die Geschichte von Zerrangs Familie, berichtete ihm von dem vierzehnjährigen Jungen, der auf dem elektrischen Stuhl bei lebendigem Leib gekocht worden war, von den Betrunkenen, die sein Heim in Brand gesteckt hatten.
Batist verzog keine Miene, während ich sprach. Er hatte die breiten Hände, die wie aus Holz geschnitzt wirkten, reglos auf den Schenkeln liegen.
»Mein Vater is’ bei der Arbeit vom Blitz erschlagen worden. Er hat zwanzig Cent in der Stunde verdient«, sagte er. »Der Weiße, dem die Farm gehört hat, hat gewusst, dass Maultiere den Blitz anziehn, aber er hat auf seiner Veranda gesessen, als es ein schweres Gewitter gab, und hat meinem Vater befohlen, dass er weiterpflügen und ja nicht aufhörn soll, bevor er die letzte Furche gezogen hat. Das hat er meinem Vater angetan. Aber deswegen hass ich doch nicht mein Lebtag lang andre Leute.«
»Brauchst du noch irgendwas, Partner?«
»Der Nigger is’ da draußen im Sumpf. Fat Daddys Frau hat von ihm geträumt. Er is’ durch das Wasser gewatet und hat ein großes Klappmesser in der Hand gehabt, so eins, mit dem man Wild ausweidet.«
»Glaub doch nicht an solches Zeug, Batist.«
»Nigger wie der kommen direkt aus der Hölle, Dave. Sag nicht, dass die dir nicht im Traum erscheinen können.«
Ich ging zu meinem Pick-up zurück, versuchte, nicht über seine Worte nachzudenken, und wollte mich auch nicht damit auseinander setzen, dass Fat Daddys Frau im Traum irgendwie das Jagdmesser mit der breiten, ausklappbaren Klinge gesehen hatte, mit dem Mookie Zerrang draußen im Henderson-Sumpf Lonnie Felton und seine Freundin ermordet hatte.
Am nächsten Morgen telefonierte ich mit meinem alten Freund Minos Dautrieve von der Drug Enforcement Administration in
Weitere Kostenlose Bücher