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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Einstellung mißfiel ihm – andererseits war auch nicht von der Hand zu weisen, daß seine Ambitionen letztlich doch nicht ganz so materialistisch waren. Ihm lag viel daran, daß sie ihm seine Träume abnahm, und zu seiner größten Überraschung ertappte er sich dabei, wie er ihr Dinge erzählte, die er noch nie jemandem eingestanden hatte. »Ich möchte gern auf dem Land leben, in einem großen, efeuumrankten Haus«, sagte er.
    Abrupt hielt er inne. Sein Gefühlsüberschwang war ihm peinlich, dennoch verspürte er aus irgendeinem Grund den Zwang, sich Margaret mitzuteilen. »Ein Haus auf dem Land mit Tennisplatz und Stallungen und die Zufahrt mit Rhododendronbüschen gesäumt«, fuhr er fort. Er sah die Szenerie deutlich vor sich, und sie kam ihm vor wie der geborgenste und gemütlichste Ort der Welt. »Ich würde in braunen Stiefeln und im Tweedanzug auf meinem Besitz umherspazieren, hin und wieder ein paar Worte mit den Gärtnern und den Stallburschen wechseln, und jeder hielte mich für einen echten Gentleman. Mein Vermögen hätte ich bombensicher investiert, so daß ich nie auch nur die Hälfte meines Einkommens ausgeben könnte. Im Sommer gäbe ich dann Gartenpartys, auf denen Erdbeeren mit Schlagsahne gereicht würden. Und dazu hätte ich noch fünf Töchter, die alle so hübsch wie ihre Mutter sind.«
    »Fünf!« lachte sie. »Dann heiraten Sie aber besser eine kräftige Frau!« Doch sie wurde sogleich wieder ernst. »Das ist ein wunderschöner Traum«, sagte sie. »Ich hoffe, daß er in Erfüllung geht.«
    Er fühlte sich ihr sehr nahe. Ihm war, als gäbe es keine Frage, die er ihr jetzt nicht stellen könnte. »Und Sie?« wollte er wissen. »Haben Sie auch einen Traum?«
    »Ich will in den Krieg ziehen«, antwortete sie. »Ich werde der A.T.S. beitreten.«
    Der Gedanke an Frauen, die in die Armee eintraten, kam ihm immer noch irgendwie komisch vor, obwohl es inzwischen fast eine Selbstverständlichkeit war. »Und was wollen Sie dort tun?«
    »Als Fahrerin arbeiten. Frauen werden als Kradmelderinnen und Krankenwagenfahrerinnen benötigt.«
    »Das ist aber gefährlich.«
    »Weiß ich. Aber das ist mir egal. Ich will nur mitkämpfen. Dies ist unsere letzte Chance, dem Faschismus Einhalt zu gebieten.« Um ihren Mund lag ein energischer Zug, ihre Augen blickten kühn, und Harry dachte bei sich: Sie ist wirklich furchtbar tapfer.
    »Sie machen einen ziemlich entschlossenen Eindruck«, sagte er.
    »Ich hatte einen … einen Freund, der in Spanien von den Faschisten getötet wurde. Ich will die Arbeit, die er begonnen hat, fortführen.« Sie wirkte traurig.
    »Sie haben ihn geliebt?« fragte Harry, ohne nachzudenken.
    Sie nickte.
    Er merkte, daß sie den Tränen nahe war, und berührte mitfühlend ihren Arm. »Und Sie lieben ihn noch immer?«
    »Ich werde ihn immer lieben, wenigstens ein bißchen.« Ihre Stimme war ganz leise. »Er hieß Ian.«
    Harry spürte einen Kloß im Hals. Am liebsten hätte er sie in die Arme genommen und getröstet. Nur der Anblick ihres Vaters, der mit gerötetem Gesicht am anderen Ende des Abteils saß, seinen Whisky trank und die Times las, hielt ihn davon ab. Er begnügte sich damit, ihr schnell und diskret die Hand zu drücken. Margaret schien die Geste zu verstehen, denn sie lächelte ihm dankbar zu.
    »Das Abendessen ist angerichtet, Mr. Vandenpost«, sagte der Steward.
    Harry nahm überrascht zur Kenntnis, daß es schon sechs Uhr war. Er bedauerte, das Gespräch mit Margaret abbrechen zu müssen.
    Sie hatte seine Gedanken erraten. »Wir haben noch viel Zeit, uns zu unterhalten«, sagte sie. »Schließlich sind wir die nächsten vierundzwanzig Stunden zusammen.«
    »Richtig.« Lächelnd berührte er noch einmal ihre Hand und murmelte: »Bis später.«
    Ursprünglich wollte ich mich mit ihr anfreunden, um sie besser im Griff zu haben, dachte er. Und was ist dabei herausgekommen? Ich habe ihr all meine Geheimnisse offenbart. Ihre Art, meine Pläne durcheinanderzubringen, ist irgendwie beunruhigend. Aber am schlimmsten ist: Es gefällt mir.
    Er betrat das nächste Abteil und stellte verblüfft fest, daß es sich vollkommen verwandelt hatte: Aus dem Salon war ein Speisesaal geworden, in dem drei Tische mit je vier Gedecken sowie zwei kleinere Serviertischchen standen. Es wirkte wie ein gutes Restaurant. Tischdecken und Servietten waren aus Leinen, und auf dem weißen Porzellan prangte blau das Pan-American-Wappen. Die Wände waren mit einer Weltkarte tapeziert, auf der ebenfalls das

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