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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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ratsch, ratsch. Sie öffnete den Vorhang einen kleinen Spalt und erblickte Harry. »Was gibt‘s?« zischelte sie, obwohl sie glaubte, es zu wissen.
    »Ich möchte dich noch einmal küssen«, flüsterte er.
    Sie war gleichermaßen entzückt wie entsetzt. »Seien Sie nicht so töricht!«
    »Bitte.«
    »Nun gehen Sie doch schon!«
    »Uns sieht doch keiner.«
    Ein unerhörtes Anliegen, das sie nichtsdestoweniger in arge Versuchung führte. Sie konnte sich gut an den elektrisierenden Reiz beim ersten Kuß erinnern und wollte einen zweiten. Unwillkürlich öffnete sie den Vorhang ein Stück weiter. Harry steckte seinen Kopf hinein und sah sie bittend an. Er war unwiderstehlich! Sie küßte ihn auf den Mund. Er roch nach Zahnpasta. Sie hatte sich eher einen flüchtigen Kuß wie beim erstenmal vorgestellt, aber Harry schien andere Vorstellungen zu haben. Er knabberte sanft an ihrer Unterlippe. Wie aufregend! Aus einem Impuls heraus öffnete sie den Mund ein wenig und spürte sogleich, wie seine Zunge über ihre Lippen glitt. Ian hatte das nie getan. Ein komisches Gefühl, aber schön! Zu kurz kommen wollte sie auch nicht, und sie ließ ihre Zunge hervorschnellen, um die seine zu berühren. Harry atmete auf einmal schwer. Und dann bewegte sich Percy in der Koje über ihr und erinnerte sie daran, wo sie sich befand. Margaret wurde von panischer Angst ergriffen: Wie konnte sie nur? Da küsse ich in aller Öffentlichkeit einen Mann, den ich kaum kenne! dachte sie. Wenn Vater etwas davon mitbekommt, ist die Hölle los! Keuchend machte sie sich von Harry frei. Der aber schob seinen Kopf noch weiter in die Koje hinein und wollte sie noch einmal küssen. Margaret stieß ihn zurück.
    »Laß mich rein«, sagte er.
    »Das ist doch lächerlich!« zischte sie.
    »Bitte.«
    Unmöglich! Sie verspürte nicht die geringste Neigung dazu, hatte einfach nur Angst. »Nein, nein, nein«, meinte sie leise.
    Er wirkte völlig zerknirscht. Sie ließ sich nicht erweichen. »Sie sind der netteste Mann, der mir seit langem, ja vielleicht überhaupt jemals begegnet ist«, sagte sie. »Aber so nett nun auch wieder nicht. Ab ins Bett mit Ihnen.«
    Er merkte, daß sie es ernst meinte, und lächelte ein wenig wehmütig. Er wollte anscheinend noch etwas sagen, aber Margaret schloß den Vorhang, bevor es dazu kam.
    Sie lauschte angestrengt und vermeinte seine leisen Schritte zu hören, als er sich entfernte. Sie löschte das Licht und legte sich schweratmend zurück. O mein Gott, dachte sie, das war traumhaft. Sie lächelte in der Dunkelheit und empfand den Kuß noch einmal in Gedanken nach. Wie gerne ich doch weitergegangen wäre, dachte sie und streichelte sanft über ihren Körper. Ihre Gedanken kehrten zu Monica zurück, ihrer ersten Liebe. Monica war eine Kusine von ihr. Als Margaret dreizehn war, hatte sie die Sommerferien bei ihr verbracht – einem sechzehnjährigen Mädchen, blond und hübsch und über alles im Bilde. Von Anfang an schwärmte Margaret für sie. Monica lebte in Frankreich. Entweder deswegen oder weil ihre Eltern einfach unverkrampfter als Margarets Eltern waren, lief sie in den Schlafräumen und im Badezimmer des Kinderflügels nackt herum. Margaret hatte noch nie einen Erwachsenen nackt gesehen. Monicas große Brüste und das dichte Büschel honigfarbenen Haars zwischen ihren Beinen faszinierten sie. Sie selbst hatte damals nur einen kleinen Busen und einen zarten Flaum. Doch Monica hatte zuerst Elizabeth verführt – die häßliche, rechthaberische Elizabeth mit den Pickeln am Kinn! Margaret konnte hören, wie sie nachts miteinander flüsterten und sich küßten, und sie war abwechselnd verwirrt, wütend, eifersüchtig und schließlich neidisch gewesen. Es entging ihr nicht, daß Monica Elizabeth immer mehr liebgewann, und die kurzen Blicke, die die beiden sich zuwarfen, die scheinbar zufälligen Berührungen während der Waldspaziergänge und bei den Mahlzeiten taten ihr weh und gaben ihr das Gefühl, ausgeschlossen zu sein. Eines Tages jedoch, als Elizabeth aus irgendeinem Grund mit Mutter nach London gefahren war, überraschte Margaret Monica im Badezimmer. Die Kusine lag mit geschlossenen Augen im heißen Badewasser und berührte sich zwischen den Beinen. Sie hörte, daß Margaret hereingekommen war, blinzelte kurz, hörte jedoch nicht auf, und Margaret sah ängstlich und fasziniert zu, wie sie sich einen Orgasmus verschaffte. In jener Nacht war Monica zu Margaret anstatt zu Elizabeth in Bett gekommen. Ihre Schwester machte

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