Nacht über den Wassern
würden gekidnappt und als Hausangestellte nach Istanbul verschleppt. Mein Gott, wie dumm ich doch bin, dachte sie.
»So weit verbreitet, wie die Zeitungen uns glauben machen wollen, ist sie nicht«, meinte Harry. »In London gibt es nur einen weißen Sklavenhändler. Er heißt Malteser Benny und stammt aus Malta.« Margaret hörte wie gebannt zu. Und so was passierte gleich nebenan! »Der hätte mich ja auch erwischen können!«
»Ja, durchaus, in der Nacht, als Sie von zu Hause weggelaufen sind«, sagte Harry. »Aus solchen Situationen schlägt Benny Kapital. Ein junges Mädchen, allein, ohne Geld und Unterkunft… Er hätte Sie zum Essen eingeladen und Ihnen eine Stellung in der Tanztruppe angeboten, die gleich am nächsten Morgen nach Paris abreist; Sie hätten ihn prompt für Ihren Retter gehalten. Die Tanztruppe hätte sich rasch als Stripteaseshow entpuppt, aber das finden Sie erst heraus, wenn Sie mittellos und ohne Fluchtmöglichkeit in Paris festsitzen. Da stellen Sie sich eben in die hinterste Reihe und drehen und winden sich eben, so gut Sie‘s können.« Margaret versetzte sich in die Situation und kam zu dem Schluß, daß sie sich wahrscheinlich genauso und nicht anders verhalten hätte. »Eines Abends bittet man Sie dann, zu einem besoffenen Börsenmakler im Publikum ein bißchen nett zu sein , und wenn Sie sich weigern, hält man Sie eben so lange fest, bis er fertig ist.« Margaret schloß bei der Vorstellung, was ihr hätte passieren können, angewidert die Augen. »Am darauffolgenden Tag suchen Sie vielleicht das Weite – aber wohin? Vielleicht haben Sie sogar ein paar Francs, aber für die Heimfahrt reicht das Geld nicht. Und was sollen Sie Ihrer Familie bei der Ankunft erzählen? Die Wahrheit? Nie und nimmer! Also enden Sie schließlich wieder in Ihrer Unterkunft, wo es wenigstens noch ein paar andere nette Mädchen gibt. Und der Gedanke, wenn ich‘s einmal gemacht habe, kann ich‘s auch noch einmal machen, setzt sich fest. Beim nächsten Börsenmakler geht es prompt einfacher. Und ehe Sie es sich versehen, freuen Sie sich schon auf die Trinkgelder, die die Kunden morgens auf dem Nachttisch zurücklassen.«
Margaret schüttelte sich. »Das ist das Schlimmste, was mir je zu Ohren gekommen ist.«
»Und deswegen halte ich auch nichts davon, Frankie Gordino in Ruhe zu lassen.«
Ein, zwei Minuten lang saßen sie schweigend da, bis Harry nachdenklich meinte: »Ich frage mich nur, welche Verbindung zwischen Frankie Gordino und Clive Membury besteht.«
»Gibt es da denn eine?«
»Nun ja, Percy hat schließlich erzählt, daß Membury eine Pistole besitzt. Ich hatte schon vermutet, daß er Polizist ist.«
»Wirklich? Wieso denn?«
»Das rote Jackett. Ein Bulle denkt, mit so einem Kleidungsstück sieht er aus wie ein Playboy.«
»Vielleicht bewacht er ja auch Frankie Gordino.«
Harry blickte zweifelnd. »Warum? Gordino ist ein amerikanischer Verbrecher auf dem Weg in ein amerikanisches Gefängnis. Er befindet sich außerhalb des britischen Hoheitsgebiets und steht unter FBI-Bewachung. Warum sollte Scotland Yard da auch noch einen Bewacher abstellen – vor allem bei dem Preis, das ein Clipper-Ticket kostet.«
Margaret senkte die Stimme. »Kann es sein, daß er hinter Ihnen her ist?«
»Mir bis nach Amerika folgt?« meinte Harry skeptisch. »Mit dem Clipper? Bewaffnet? Wegen ein paar Manschettenknöpfen?«
»Haben Sie sonst noch eine Idee, was dahinterstecken könnte?«
»Nein.«
»Wie dem auch sei, vielleicht vergessen die Passagiere ja über dem Getue um Gordino das unerhörte Verhalten meines Vaters beim Abendessen.«
»Was meinen Sie?« fragte Harry neugierig. »Warum hat er so vom Leder gezogen?«
»Weiß ich auch nicht. Er war nicht immer so. Früher, als ich ein Kind war, ist er, soweit ich mich entsinne, ganz vernünftig gewesen.«
»Ich bin schon einigen Faschisten begegnet«, meinte Harry. »Normalerweise sind das völlig verunsicherte Menschen.«
»Wirklich?« Margaret war überrascht und hielt den Gedanken für wenig plausibel. »Nach außen hin wirken sie furchtbar aggressiv.«
»Ich weiß. Aber innerlich sind sie total verschreckt. Deswegen marschieren sie auch so gerne auf und ab und tragen Uniform – nur im Rudel fühlen sie sich sicher. Deswegen können sie auch der Demokratie nichts abgewinnen – sie bietet ihnen viel zuwenig Sicherheit. Unter einem Diktator sind sie glücklich – da weiß man immer, was als nächstes passiert, und die Regierung kann nicht von
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