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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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eine solche Abfuhr ignoriert, muß schon sehr aufdringlich sein… Harry hatte sich zwar nicht so ohne weiteres abweisen lassen und ihr damit sehr geschmeichelt, aber uneinsichtig war er nicht. Heute nacht würde er bestimmt nicht noch einmal kommen.
    Was bin ich doch für eine Idiotin, dachte sie. Wenn ich ja gesagt hätte, wäre er jetzt hier. Sie schlang die Arme um sich und stellte sich dabei vor, es wäre Harry, und in Gedanken streckte sie vorsichtig die Hand nach ihm aus und streichelte seine nackten Lenden. Seine Schenkel sind bestimmt mit lockigen blonden Härchen bedeckt, dachte sie.
    Sie beschloß, aufzustehen und zur Damentoilette zu gehen. Vielleicht hatte sie ja Glück, und Harry stand zufällig zur gleichen Zeit auf oder bat den Steward um einen Drink oder sonst etwas. Sie zog sich den Bademantel über, öffnete die Vorhänge und setzte sich auf.
    Harrys Koje war ringsherum zugezogen. Sie schlüpfte in ihre Pantoffeln und stand auf. Inzwischen waren fast alle Passagiere zu Bett gegangen. Margaret warf einen Blick in die Kombüse, aber auch dort war niemand zu sehen; auch die Stewards brauchten ihren Schlaf. Wahrscheinlich dösten sie im ersten Abteil zusammen mit den dienstfreien Mitgliedern der Crew vor sich hin. Margaret schlug die entgegengesetzte Richtung ein und kam durch den Salon, wo ausschließlich Männer unermüdlich Poker spielten. Auf dem Tisch stand eine Whiskyflasche, aus der sie sich bedienten. Die Maschine schlingerte, so daß Margaret ihr Ziel nur im Zickzackkurs erreichte. Der Boden stieg zum Schwanzende hin an, und Stufen führten von einem Abteil ins nächste. Zwei oder drei Passagiere saßen noch auf dem Bett und lasen bei zurückgezogenen Vorhängen, doch die meisten Kojen waren geschlossen.
    Die Damentoilette war leer. Margaret setzte sich vor den Spiegel und betrachtete sich darin. Daß diese Frau ihr gegenüber von einem Mann begehrt wurde, kam ihr merkwürdig vor. Ihr Gesicht war eher durchschnittlich, die Haut sehr blaß, ihre Augen ungewöhnlich grün. Das einzig Gute an mir ist mein Haar, dachte sie manchmal: Es war lang und glatt, schimmerte kupferfarben und zog oft die Blicke der Männer auf sich.
    Ob Harry mein Körper gefallen hätte, wenn er zu mir in die Koje gekommen wäre? Vielleicht graut ihm ja vor großen Brüsten, und er fühlt sich an Mutterschaft oder Kuheuter oder sonstwas erinnert. Margaret hatte gehört, daß Männern kleine, hübsche Brüste gefielen, die wie die Gläser geformt waren, in denen bei festlichen Anlässen der Champagner serviert wurde. Meine passen bestimmt nicht in Champagnergläser, dachte sie trübsinnig.
    Sie wäre gerne klein und zierlich wie die Models in Vogue gewesen, sah aber eher wie eine stattliche spanische Tänzerin aus. Wenn sie ein Ballkleid trug, mußte sie darunter stets ein Korsett tragen, damit ihre Brüste nicht wild umherschaukelten. Ian hatte ihren Körper geliebt und die Mannequins als Püppchen bezeichnet. »Du bist eben eine richtige Frau«, hatte er ihr eines Nachmittags gesagt, als sie für wenige Augenblicke allein in den Flügel mit den ehemaligen Kinderzimmern geflüchtet waren; er hatte ihren Nacken geküßt und ihre Brüste unter dem Kaschmirpullover mit den Händen liebkost. Damals hatte sie ihren Busen gemocht.
    Das Flugzeug war in eine stärkere Turbulenz geraten, Margaret mußte sich am Rand der Frisierkommode festhalten, um nicht vom Hocker zu fallen. Es wäre schön, wenn meine Brüste noch einmal gestreichelt würden, bevor ich sterbe, dachte sie.
    Als die Maschine wieder ruhiger flog, kehrte sie in ihr Abteil zurück. Die Kojen waren nach wie vor verschlossen. Einen Augenblick stand sie da und wünschte sich inbrünstig, Harry würde den Vorhang öffnen, aber nichts geschah. Sie äugte den Gang hinunter, von einem Ende der Maschine zum anderen. Nirgends war ein Mensch zu sehen.
    Sie war ihr ganzes Leben lang feige gewesen. Aber noch nie hatte sie sich etwas so sehr gewünscht. Sie rüttelte an Harrys Vorhang. Einen Augenblick lang passierte nichts. Sie hatte keinen konkreten Plan und wußte weder, was sie sagen, noch, was sie tun würde. Drinnen rührte sich nichts. Sie zog noch einmal an dem Vorhang.
    Kurz darauf schaute Harry heraus.
    Sie starrten sich schweigend an; er war überrascht, sie sprachlos. Dann hörte Margaret hinter sich ein Geräusch.
    Sie warf einen Blick über die Schulter und sah, daß sich hinter dem Vorhang ihres Vaters etwas bewegte. Eine Hand griff von innen nach dem Stoff. Vater

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