Nacht über den Wassern
ein Mordstheater und drohte damit, alles auffliegen zu lassen. Es endete damit, daß sich die Schwestern schließlich die Kusine teilten, in einer Dreiecksbeziehung voller Eifersucht, vergleichbar mit Ehefrau und Geliebter. Margaret fühlte sich den ganzen Sommer über schuldig und unaufrichtig, aber die intensive Zuneigung und die neuentdeckten körperlichen Genüsse waren zu schön, als daß sie darauf hätte verzichten wollen. Die Beziehung endete erst, als Monica im September nach Frankreich zurückkehrte. Nach dem Erlebnis mit Monica war Margaret, als sie zum erstenmal mit Ian ins Bett ging, geradezu schockiert.
Er war linkisch und unbeholfen, und sie begriff, daß ein junger Mann seines Schlags so gut wie gar nichts über den Körper einer Frau wußte und ihr deshalb auch nicht soviel Lust bereiten konnte wie
Monica. Sie kam jedoch schnell über die anfängliche Enttäuschung hinweg. Ian liebte sie mit einer derartigen Inbrunst, daß seine Unerfahrenheit von seiner Leidenschaft wettgemacht wurde.
Beim Gedanken an Ian kamen ihr, wie stets, die Tränen, und sie wünschte sich von ganzem Herzen, sich damals häufiger und williger mit ihm Vereint zu haben. Sie war zunächst sehr abweisend gewesen, obwohl sie sich ebensosehr wie er danach sehnte, und er mußte sie monatelang bedrängen, bevor sie schließlich einwilligte. Und obwohl sie es nach dem ersten Mal durchaus wieder tun wollte, hatte sie Schwierigkeiten gemacht. In ihrem Zimmer wollte sie nicht mit ihm schlafen, weil man sich im Haus über die verschlossene Tür gewundert hätte; im Freien fürchtete sie sich, obwohl sie in den Wäldern rings um das Haus genügend Verstecke kannte; und die Vorstellung, sich in den Wohnungen seiner Freunde mit ihm zu treffen, war ihr unangenehm, weil sie um ihren guten Ruf fürchtete. Hinter allem steckte die panische Angst vor Vaters Reaktion, falls er ihr auf die Schliche kommen sollte.
Zwischen ihren widersprüchlichen Begierden und Ängsten hin und her gerissen, hatten sie, bevor er nach Spanien ging, nur dreimal heimlich, hastig und mit schlechtem Gewissen miteinander geschlafen. In ihrer Einfalt war Margaret wie selbstverständlich davon ausgegangen, daß sie noch unbegrenzt Zeit haben würden. Doch dann kam die Nachricht von seinem Tod und die damit verbundene Erkenntnis, daß sie seinen Körper nie wieder berühren würde. Sie hatte zum Steinerweichen geweint, bis sie glaubte, das Herz müsse ihr zerspringen. Sie hatte gedacht, sie würden den Rest ihres Lebens gemeinsam verbringen und mit der Zeit lernen, einander glücklich zu machen. Doch sie sah Ian niemals wieder. Inzwischen wünschte sie längst, sie hätte sich ihm gleich von Anfang an hemmungslos hingegeben und bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit ihm geschlafen. Seit er irgendwo auf einem staubigen Hügel in Katalonien begraben lag, kamen ihr ihre Ängste einfach kindisch vor. Unvermittelt fiel ihr ein, daß sie im Begriff stand, den gleichen Fehler noch einmal zu begehen – und zwar jetzt. Sie wollte Harry Marks. Sie sehnte sich mit Leib und Seele nach ihm. Seit Ian war er der erste Mann, der diese Gefühle in ihr weckte, und dennoch hatte sie ihn zurückgewiesen. Warum nur? Weil sie Angst hatte! Weil sie sich an Bord eines Flugzeugs befand, weil die Kojen schmal waren, weil jemand sie hören könnte, weil ihr Vater ganz in der Nähe war und weil sie Angst hatte, erwischt zu werden.
War sie wieder einmal zu zaghaft, zu dumm? Was ist, wenn das Flugzeug abstürzt? dachte sie. Wir befinden uns auf einem Pionierflug über dem Atlantik und haben gerade die halbe Strecke zwischen Europa und Amerika zurückgelegt. In beiden Richtungen sind es Hunderte von Meilen bis zum Festland. Wenn etwas schiefgeht, sind wir in ein paar Minuten tot. Mein letzter Gedanke wird das Bedauern darüber sein, daß ich nie mit Harry Marks geschlafen habe. Nein, das Flugzeug wird nicht abstürzen. Trotzdem ist es vielleicht meine letzte Chance. Was weiß ich, wie sich die Dinge nach unserer Ankunft in Amerika entwickeln werden? Ich will so schnell wie möglich zu den Streitkräften, und Harry hat davon gesprochen, bei der kanadischen Luftwaffe Pilot zu werden. Vielleicht fällt er im Krieg, genau wie Ian. Was bedeutet da noch mein »guter Ruf« und der Zorn der Eltern, wenn das Leben so kurz sein kann? Warum habe ich Harry nicht hereingelassen? Ob er es wohl noch einmal versuchen wird? Nein, ich habe ihm klar und deutlich zu verstehen gegeben, daß er unerwünscht ist. Wer
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