Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
heute auf morgen gestürzt werden.«
    Das war einleuchtend. Margaret nickte nachdenklich. »Ich kann mich daran erinnern, daß er sich schon, bevor er so verbittert wurde, immer unglaublich aufregen konnte – über Kommunisten, Zionisten, die Gewerkschaften oder die Fünfte Kolonne. Immer hieß es, daß irgendwer kurz davor stand, das Land in die Knie zu zwingen. Und wenn ich so darüber nachdenke – daß die Zionisten England in die Knie zwingen könnten, war doch nie sehr wahrscheinlich, oder?«
    Harry lächelte. »Faschisten sind außerdem immer wütend. Es sind oft Menschen, die aus irgendeinem Grund mit ihrem Leben unzufrieden sind.«
    »Ja, das trifft auf Vater auch zu. Als er nach dem Tode meines Großvaters das Gut übernahm, stellte sich heraus, daß es bankrott war. Er hatte keinen roten Heller – bis er meine Mutter heiratete. Er kandidierte für einen Parlamentssitz, schaffte es aber nie, gewählt zu werden. Und jetzt ist er aus dem Land geworfen worden.« Sie hatte plötzlich das Gefühl, ihren Vater besser zu verstehen: Harry war wirklich erstaunlich scharfsinnig. »Wo haben Sie denn diese Erkenntnisse her?« wollte sie wissen. »Sie sind doch kaum älter als ich.«
    Er zuckte die Achseln. »Battersea ist politisch sehr aktiv. Ich glaube, es ist die Hochburg der Kommunistischen Partei in London.« Die Einsicht in die emotionalen Beweggründe ihres Vaters machten das tiefe Schamgefühl, das Margaret wegen des Vorfalls empfand, ein wenig erträglicher. Nicht daß Vaters Verhalten dadurch entschuldbar wurde – aber der Gedanke, daß er kein geistesgestörter und rachsüchtiger, sondern eher ein enttäuschter, unsicherer Mann war, hatte etwas Beruhigendes an sich. Wie klug dieser Harry Marks doch war! Es wäre phantastisch, wenn er mir bei der Flucht helfen könnte, dachte sie. Zu gerne hätte sie gewußt, ober er sie nach der Ankunft in Amerika noch einmal sehen wollte. »Wissen Sie eigentlich schon, wo Sie drüben wohnen werden?« fragte sie.
    »Ich nehme an, daß ich in New York irgendwo unterkommen werde«, sagte er. »Ich habe noch ein bißchen Geld und kann mir außerdem schnell mehr besorgen.«
    Wie einfach das aus seinem Munde klang. Wahrscheinlich war es für Männer auch einfacher. Als Frau brauchte man Schutz. »Nancy Lenehan hat mir eine Stelle angeboten«, sagte sie unvermittelt. »Kann allerdings sein, daß sie ihr Versprechen nicht halten kann. Ihr Bruder versucht gerade, ihr die Firma abspenstig zu machen.«
    Harry sah sie an und wandte gleich darauf den Blick mit einem für ihn ungewöhnlich scheuen Gesichtsausdruck wieder ab; seine Selbstsicherheit schien auf einmal erschüttert. »Wissen Sie, wenn Sie wollen… Also ich hätte nichts dagegen… Ich meine, ich könnte Ihnen vielleicht behilflich sein.«
    Genau das hatte sie hören wollen! »Ist das Ihr Ernst?« hakte sie nach.
    Harry sah aus, als wolle er sagen: Versprechen Sie sich aber nicht zuviel von meiner Hilfe. »Ich könnte Ihnen bei der Suche nach einer Unterkunft behilflich sein«, erwiderte er.
    Sie war unendlich erleichtert. »Das wäre wunderbar«, meinte sie. »Ich habe mich noch nie um eine eigene Wohnung kümmern müssen und nicht die geringste Ahnung, wie man das anstellt.«
    »Man schaut halt in die Zeitung«, sagte Harry.
    »Welche Zeitung?«
    »In die Lokalzeitung.«
    »Und da steht was über Wohnungen drin?«
    »In den Anzeigen.«
    »In der Times gibt es keine Wohnungsanzeigen.« Das war die einzige Zeitung, die Vater abonniert hatte.
    »Die Spätausgaben sind die besten.«
    Margaret kam sich reichlich dumm vor: Nicht einmal die einfachsten Dinge waren ihr vertraut. »Ich brauche wirklich einen Freund, der mir dabei hilft.«
    »Ich glaube, ich kann Sie vor dem amerikanischen Gegenstück zum Malteser Benny beschützen.«
    »Ich bin wirklich sehr froh«, erklärte Margaret. »Zuerst Mrs. Lenehan – und nun Sie! Ich weiß, daß ich mir mit Hilfe von Freunden ein eigenes Leben aufbauen kann. Ich bin Ihnen so dankbar, daß ich es kaum in Worte fassen kann.«
    Davy betrat den Salon. Margaret fiel auf, daß die Maschine während der letzten zehn bis fünfzehn Minuten völlig ruhig dahingeglitten war. »Schauen Sie mal aus den Fenstern auf Backbord, meine Herrschaften«, sagte Davy. »In ein paar Sekunden gibt‘s da was zu sehen.«
    Margaret blickte hinaus. Harry löste seinen Sicherheitsgurt und kam näher, um ihr über die Schulter zu sehen. Das Flugzeug legte sich nach backbord. Kurz darauf sah Margaret, daß sie in

Weitere Kostenlose Bücher