Nacht über den Wassern
Kapitel
A uf der Überfahrt zur Küste spürte Eddie Deakin die Feindseligkeit seiner Kollegen. Jeder vermied seinen Blick. Alle wußten sie, daß ihnen um ein Haar der Treibstoff ausgegangen und die Maschine in den stürmischen Ozean gestürzt wäre. Sie waren in Lebensgefahr gewesen. Bis jetzt wußte niemand, wie das passieren konnte, aber für den Treibstoff war der Ingenieur zuständig, also war Eddie an der Panne schuld.
Sein merkwürdiges Benehmen konnte ihnen kaum entgangen sein. Den ganzen Flug über war er zerstreut gewesen, hatte beim Essen kaum ein Wort mit Tore Luther gewechselt, und im Waschraum war aus unerfindlichen Gründen eine Scheibe zerborsten, als Eddie sich gerade dort aufhielt. Kein Wunder also, daß die anderen das Gefühl hatten, daß man sich nicht mehr hundertprozentig auf ihn verlassen konnte. In einer verschworenen Gemeinschaft, in der einer auf den anderen angewiesen war und ihm auf Gedeih und Verderb vertraute, verbreitete sich ein solches Gefühl in Windeseile.
Eddie trug schwer an der Erkenntnis, daß seine Kollegen ihm nicht länger trauten. Im Grunde war er stolz auf seinen Ruf als einer der zuverlässigsten Kerle weit und breit. Daß er anderen ihre Fehler nur ungern verzieh, machte die Sache noch schlimmer. Wie oft hatte er sich herablassend über Leute geäußert, deren Leistungen aufgrund persönlicher Probleme zu wünschen übrig ließen.
»Entschuldigungen fliegen nicht«, hatte er manchmal gesagt – ein Spruch, bei dem er jetzt jedesmal, wenn er ihm in den Sinn kam, zusammenzuckte.
Es kann dir scheißegal sein, was sie denken, hatte er sich einzureden versucht. Du mußt deine Frau retten, und zwar allein. Du kannst niemanden um Hilfe bitten und darfst dich nicht um die Gefühle anderer scheren. Ja, ich habe die Leute in Lebensgefahr gebracht, aber das Risiko hat sich gelohnt, und damit basta… Es war alles ganz logisch – und doch ohne Belang: Aus dem Ingenieur Deakin, diesem Fels in der Brandung, war der unzuverlässige Eddie geworden, ein Bursche, dem man auf die Finger schauen mußte, damit er keinen Mist baute. Eddie haßte Typen wie diesen unzuverlässigen Eddie. Er haßte sich selbst.
Wie üblich waren viele Passagiere in Botwood an Bord geblieben. Sie hofften, ein wenig Schlaf zu finden, solange die Maschine still im Hafen lag. Ollis Field, der Mann vom FBI, und Frankie Gordino, sein Gefangener, waren natürlich, wie schon zuvor in Foynes, ebenfalls an Bord geblieben. Tom Luther, der einen Mantel mit Pelzkragen und einen taubengrauen Hut trug, befand sich indessen auf dem Boot. Als sie sich der Kaimauer näherten, stellte Eddie sich neben ihn und flüsterte ihm zu: »Warten Sie am Flughafengebäude auf mich, ich bringe Sie dann zum Telefon.«
Botwood bestand aus einer Ansammlung von Holzhäusern, die sich um einen Tiefwasserhafen an der ringsum von Land umgebenen Mündung des Exploits River scharten. Sogar die Millionäre, die regelmäßig den Clipper benutzten, fanden hier kaum etwas zum Einkaufen. Das Dorf hatte erst seit vergangenen Juni eine Telefonverbindung, und die wenigen vorhandenen Autos fuhren, da Neufundland immer noch unter britischer Herrschaft stand, auf der linken Seite.
Gemeinsam betraten sie das hölzerne Pan-Am-Gebäude. Die Crew verschwand im Flugbüro. Eddie studierte sofort die Wetterberichte, die per Funk von dem neuen großen Landflugplatz am achtunddreißig Meilen entfernten Gander Lake durchgegeben worden waren, und berechnete den Treibstoffbedarf für die nächste Etappe. Da sie wesentlich kürzer war als die vorherige, kam der Kalkulation nicht die gleiche lebenswichtige Bedeutung zu. Das Flugzeug führte allerdings nie übemäßig große Treibstoffreserven mit sich, denn das zusätzliche Gewicht kam teuer. Eddie hatte einen schalen Geschmack im Mund, während er über seiner Arbeit saß. Ob ich je wieder die Berechnungen durchführen kann, ohne dabei an diesen entsetzlichen Tag denken zu müssen? Die Frage war rein theoretisch: Wenn er seinen Plan in die Tat umsetzte, würde er nie wieder als Bordingenieur eines Clippers fliegen.
Der Captain mochte bereits seine Zweifel haben, ob Eddies Kalkulationen noch zu trauen war. Eddie mußte etwas unternehmen, um die alte Vertrauensbasis wiederherzustellen. Er beschloß, Selbstzweifel an den Tag zu legen: Nachdem er seine Berechnungen noch einmal überprüft hatte, reichte er sie an Captain Baker weiter. »Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn jemand sie noch einmal durchsehen würde«,
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