Nacht über den Wassern
schönsten Juwelen der Welt, ein Vermögen wert – ja, so wertvoll, daß er damit bis an sein Lebensende ausgesorgt hätte.
Er sehnte sich danach, die Halskette in der Hand zu halten, sich an dem unergründlichen Rot der Rubine aus Burma zu ergötzen und mit den Fingerspitzen über die facettierten Diamanten zu streichen.
Die Fassungen würden nach dem Verkauf an einen Hehler natürlich zerstört und das Ensemble auseinandergerissen werden. Das war bedauerlich, aber unvermeidbar. Die Steine würden überleben und in anderer Zusammenstellung auf der Haut einer anderen Millionärsgattin enden. Und Harry Marks würde sich ein Haus kaufen.
Ja, das werde ich mit dem Geld machen, dachte er. Ich werde mir irgendwo in Amerika ein Landhaus kaufen, vielleicht in der Gegend, die man Neuengland nennt, wo immer das auch sein mag. Ich sehe es schon vor mir – mitsamt der großen Rasenfläche, den Bäumen, den Wochenendgästen in weißen Hosen und mit Strohhüten auf dem Kopf. Und meine Frau… Sie kommt gerade in Reithose und -stiefeln die Eichenholztteppe herunter…
Doch die Frau sah wie Margaret aus.
Sie hatte ihn im Morgengrauen verlassen und war zwischen den Vorhängen hindurchgeschlüpft, als sich gerade niemand blicken ließ. Harry hatte aus dem Fenster geschaut und an sie gedacht, während die Maschine über die Fichtenwälder Neufundlands flog und in Bot- wood zu Wasser ging. Margaret hatte gesagt, daß sie während des Zwischenaufenthalts an Bord bleiben und sich ein Stündchen hinlegen wolle, und Harry hatte die gleiche Absicht geäußert. In Wirklichkeit dachte er nicht im Traum daran, sich schlafen zu legen.
Vom Fenster aus konnte er beobachten, wie eine Reihe von Leuten, die in dicke Mäntel gehüllt waren, das Boot bestiegen: ungefähr die Hälfte der Passagiere und ein Großteil der Besatzungsmitglieder. Da die an Bord gebliebenen Mitreisenden fast alle noch schliefen, bot sich nun eine einmalige Gelegenheit, unbemerkt in den Frachtraum zu gelangen. Gepäckschlösser waren für ihn kein großes Hindernis. Schon in kurzer Zeit konnte er das Delhi-Ensemble in Händen halten.
Doch Harry Marks fragte sich auf einmal, ob Margarets Brüste nicht die wertvollsten Juwelen waren, die er je in Händen halten könnte.
Er ermahnte sich, einen kühlen Kopf zu behalten. Sie hatte die Nacht mit ihm verbracht, was jedoch noch lange nicht hieß, daß er sie je wiedersehen würde, wenn sie erst das Flugzeug verlassen hatten. »Schiffsromanzen« waren angeblich berüchtigt für ihre Kurzlebigkeit – »Wasserflugzeugaffären« mußten da wohl noch vergänglicher sein. Margaret sehnte sich verzweifelt danach, ihren Eltern zu entkommen und ein unabhängiges Leben zu führen. Ob es je dazu kommen würde? Es gab viele reiche Mädchen, die davon träumten, endlich unabhängig zu sein, doch in Wirklichkeit war es sehr schwer, ein Leben voller Luxus aufzugeben … Margaret war vollkommen aufrichtig, das wußte Harry, aber vom Alltagsleben gewöhnlich Sterblicher hatte sie nicht die geringste Ahnung. Es würde ihr, falls sie es je ausprobierte, bestimmt nicht gefallen.
Nein, im Grunde war es unmöglich, Margarets Entscheidungen vorauszusagen. Auf Juwelen war dagegen absolut Verlaß.
Eine klare Wahl treffen zu müssen, wäre einfacher gewesen. Wäre der Teufel zu ihm gekommen und hätte zu ihm gesagt: »Du kannst Margaret haben oder die Juwelen stehlen, aber nicht beides«, dann hätte Harry Marks sich für Margaret entschieden. Aber die Wirklichkeit war viel komplizierter. Ich kann die Juwelen sausenlassen und Margaret trotzdem verlieren, dachte er. Aber vielleicht bekomme ich beides…
Er hatte sein ganzes Leben lang va banque gespielt.
Er beschloß, auf beides zu setzen.
Er stand auf.
Er schlüpfte in seine Pantoffeln, zog den Bademantel über und sah sich um. Die Vorhänge vor Margarets Koje und der ihrer Mutter waren noch zugezogen, die von Percy, Lord Oxenford und Mr. Mem- bury waren leer.
Im Salon nebenan befand sich nur eine Putzfrau, die ein Kopftuch trug. Sie war vermutlich in Botwood an Bord gekommen und leerte gerade schläfrig die Aschenbecher. Die Außentür war offen, und die kalte Seeluft blies Harry entgegen. In Abteil Nummer drei unterhielten sich Clive Membury und Baron Gabon, und Harry fragte sich, über was sie wohl reden mochten – etwa über rote Jacketts? Weiter hinten waren die Stewards damit beschäftigt, Etagenbetten in Sitzplätze umzubauen. In der ganzen Maschine hing die schale Luft eines
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