Nacht über den Wassern
aus dem Fenster. Es war hellichter Tag. Das Flugzeug wasserte in der Nähe einer kleinen Stadt, die von riesigen Nadelwäldern umgeben war. Die Szenerie wirkte still und friedlich.
Margaret lehnte sich zurück, genoß das Alleinsein und rief sich genüßlich die Ereignisse der vergangenen Nacht ins Gedächtnis zurück, um sie sich einzuprägen wie Bilder in einem Fotoalbum. Ihr war, als hätte sie erst in der vergangenen Nacht wirklich ihre Jungfräulichkeit verloren. Die sexuelle Vereinigung mit Ian war stets hastig, schwierig und schnell gewesen, und sie hatte sich wie ein Kind gefühlt, das verbotenerweise die Spiele der Erwachsenen spielt. Letzte Nacht aber hatten Harry und sie sich als erwachsene Menschen an ihren Körpern erfreut, waren umsichtig, aber nicht heimlichtuerisch, scheu, aber nicht verlegen, unsicher, aber nicht tölpelhaft gewesen, und Margaret hatte sich wie eine richtige Frau gefühlt. Ich will mehr davon, dachte sie, viel mehr, und schlang die Arme wollüstig um den eigenen Körper.
Sie stellte sich Harry vor, so, wie sie ihn gerade eben erblickt hatte – im himmelblauen Hemd am Fenster sitzend, mit gedankenverlorenem Gesichtsausdruck. Ich würde ihn gerne küssen, dachte sie. Sie setzte sich auf, warf sich den Morgenmantel über, öffnete die Vorhänge und sagte: »Guten Morgen, Harry.«
Er reagierte mit einer jähen Kopfbewegung und sah aus, als habe man ihn auf frischer Tat ertappt. An was hast du gedacht? dachte sie. Er blickte ihr in die Augen und lächelte. Margaret lächelte zurück und konnte plötzlich nicht mehr aufhören zu lächeln. Sie grinsten sich eine geschlagene Minute an wie zwei Mondsüchtige, bis Margaret schließlich den Blick senkte und aufstand.
Der Steward unterbrach seine Arbeit an Mutters Platz, drehte sich um und sagte: »Guten Morgen, Lady Margaret. Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee bringen?«
»Nein, danke, Nicky.« Ich sehe wahrscheinlich fürchterlich aus, dachte sie bei sich, ich brauche schleunigst einen Spiegel, um mir die Haare zu kämmen… Außerdem kam sie sich halb nackt vor – nein, sie war halb nackt, während Harry sich bereits rasiert hatte, ein frisches Hemd trug und aussah wie aus dem Ei gepellt.
Sie hätte ihn trotzdem gerne geküßt.
Sie schlüpfte in ihre Pantöffelchen und mußte dabei daran denken, wie sie sie in der vergangenen Nacht höchst indiskret neben Harrys Koje hatte stehenlassen und erst eine Zehntelsekunde bevor Vater sie unweigerlich gesehen hätte, in Sicherheit gebracht hatte. Sie steckte die Arme in die Ärmel ihres Morgenmantels und bemerkte, wie Harrys Augen ihre Brüste suchten. Es war ihr nicht unangenehm, ganz im Gegenteil: Sie mochte es, wenn er ihre Brüste ansah. Sie zog den Gürtel fest und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar.
Nicky war fertig mit seiner Arbeit. Hoffentlich verschwindet er jetzt, dachte sie, damit ich Harry endlich küssen kann. Doch Nicky fragte: »Darf ich jetzt Ihr Bett herrichten?«
»Natürlich«, gab sie enttäuscht zurück. Wie lange wird er jetzt noch brauchen? dachte sie, nahm ihre Tasche auf, warf Harry einen bedauernden Blick zu und ging hinaus.
Davy, der andere Steward, baute im Speiseraum ein Frühstücksbuffet auf. Margaret stibitzte schuldbewußt eine Erdbeere und durchquerte das Flugzeug in seiner ganzen Länge. Die meisten Kojen waren inzwischen wieder zu Sitzplätzen umgebaut worden; hier und da saßen Passagiere und nippten unausgeschlafen an ihren Kaffeetassen. Sie bemerkte, daß Mr. Membury und Baron Gabon in eine Unterhaltung vertieft waren, und fragte sich, über welches Thema sich dieses ungleiche Paar wohl so ernsthaft unterhalten mochte. Irgend etwas fehlte. Margaret brauchte eine Weile, bis sie darauf kam: Es gab keine Morgenzeitungen.
Sie betrat den Toilettenraum. Vor der Frisierkommode saß Mutter. Unwillkürlich wurde Margaret von schrecklichen Gewissensbissen heimgesucht: Wie konnte ich so etwas nur tun, dachte sie verstört, wo doch Mutter nur ein paar Schritte von uns entfernt lag! Sie errötete und merkte es. Mühsam zwang sie sich zu einem »Guten Morgen, Mutter«. Ihre Stimme klang erstaunlicherweise ganz normal.
»Guten Morgen, Liebes. Dein Gesicht ist ein wenig gerötet. Hast du denn geschlafen?«
»Sehr gut sogar«, gab Margaret zurück und errötete noch tiefer. Dann fiel ihr etwas ein: »Ich fühle mich ertappt, weil ich eine Erdbeere vom Frühstücksbuffet genascht habe.« Fluchtartig verschwand sie in der Toilettenkabine. Als sie wieder herauskam,
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