Nacht über den Wassern
ließ sie das Becken voll Wasser laufen und wusch sich gründlich das Gesicht.
Sie bedauerte es sehr, noch einmal das Kleid vom Vortag anziehen zu müssen. Gerne hätte sie etwas Frisches angelegt. Sie trug viel Eau de Toilette auf. Harry hatte ihr gesagt, daß er es mochte – ja, er hatte sogar gewußt, daß es Tosca war. Ein Mann, der verschiedene Duftnoten unterscheiden konnte, war ihr noch nie begegnet.
Beim Bürsten der Haare nahm sie sich viel Zeit. Sie waren das Schönste an ihr, und sie mußte das Beste daraus machen. Ich sollte mehr auf mein Äußeres achten, dachte sie. Bisher hatte sie sich nicht besonders darum gekümmert, doch auf einmal war es ihr wichtig. Ich sollte Kleider tragen, die meine Figur betonen, und elegante Schuhe, die die Aufmerksamkeit auf meine langen Beine lenken. Die Farben müssen gut zu rotem Haar und grünen Augen passen … Ihr Kleid war ziegelrot und farblich somit ganz passabel, vom Schnitt her aber ziemlich weit und formlos. Kritisch betrachtete sie sich im Spiegel und wünschte, das Kleid hätte eine stärker betonte Schulterpartie und einen Gürtel in der Taille. Weil Mutter ihr natürlich nie erlauben würde, Make-up zu tragen, mußte sie sich mit ihrem blassen Teint zufriedengeben. Immerhin hatte sie schöne Zähne.
»Ich bin soweit«, sagte sie munter.
Mutter hatte sich nicht vom Fleck gerührt. »Du gehst wohl zurück, um dich wieder mit diesem Mr. Vandenpost zu unterhalten, wie?«
»Ich denke schon. Sonst ist ja niemand da. Es hat ja wohl keinen Sinn, auf dich zu warten, du brauchst sicher noch eine Weile, bis du mit dem Schminken fertig bist.«
»Sei nicht so vorlaut! Der Mann hat einen jüdischen Zug an sich.« Er ist aber nicht beschnitten, dachte Margaret und wäre aus lauter Übermut fast damit herausgeplatzt. Statt dessen fing sie an zu kichern.
Mutter war eingeschnappt. »Da gibt es nichts zu lachen. Und damit du es gleich weißt: Wenn wir das Flugzeug verlassen haben, wirst du diesen jungen Mann nicht mehr wiedersehen. – Ich dulde es nicht.«
»Schon recht«, erwiderte Margaret, »ist mir egal.« Es stimmte: Sie war ohnehin entschlossen, ihr Elternhaus zu verlassen. Was sie »duldeten« oder nicht, konnte ihr völlig gleichgültig sein.
Mutter sah sie mißtrauisch an. »Warum nur habe ich das Gefühl, daß du nicht aufrichtig zu mir bist?«
»Weil Despoten nie jemandem trauen können«, gab Margaret zurück.
Sie hielt das für einen guten Schlußsatz und ging zur Tür, wurde aber von Mutter zurückgerufen.
»Geh nicht fort, Liebes«, sagte Mutter, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Was soll das heißen? dachte Margaret. Verlaß den Raum nicht oder Verlaß die Familie nicht? Hat sie erraten, was ich vorhabe? Sie hatte schon immer einen siebten Sinn. Margaret schwieg.
»Elizabeth habe ich bereits verloren, und ich könnte es nicht ertragen, nun auch noch dich zu verlieren.«
»Aber das ist doch Vaters Schuld!« brach es aus Margaret hervor, und sie hätte am liebsten geweint. »Er ist so furchtbar … Kannst du nicht dafür sorgen, daß er sich etwas besser benimmt?«
»Meinst du etwa, ich hätte es nicht versucht?«
Margaret war wie vor den Kopf geschlagen: Nie zuvor hatte Mutter eingeräumt, daß Vater vielleicht unrecht haben könnte. »Wenn er sich nicht ändert, kann ich dir nicht helfen«, sagte sie kleinlaut.
»Du könntest versuchen, ihn nicht dauernd zu provozieren«, schlug Mutter vor.
»Zu allem Ja und Amen sagen, meinst du?«
»Warum nicht? Es gilt ja ohnehin nur, bis du heiratest.«
»Wenn du ihm mal Paroli bieten würdest, wäre er sicher nicht so.« Mutter schüttelte traurig den Kopf. »Ich kann nicht für dich und gegen ihn Stellung beziehen, Liebling. Er ist mein Mann.«
»Aber er hat doch unrecht!«
»Das tut nichts zur Sache. Warte ab, bis du selbst verheiratet bist, dann wirst du mich schon verstehen.«
Margaret fühlte sich in die Enge getrieben. »Das ist doch vollkommen ungerecht.«
»Es ist ja nicht für lange. Ich bitte dich nur, ihn noch eine Weile zu ertragen. Sobald du einundzwanzig bist, wird es anders sein, auch wenn du bis dahin nicht verheiratet bist, das verspreche ich dir. Ich weiß, daß es schwer ist. Aber ich will nicht, daß du verstoßen wirst wie die arme Elizabeth …«
Margaret begriff, daß ihr die Trennung genauso schwerfallen würde wie Mutter. »Das will ich auch nicht, Mutter«, sagte sie und tat einen Schritt auf den Stuhl zu. Mutter breitete die Arme aus, und obwohl sie sitzen
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