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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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alles zu gestehen. Ich werde den Schmuck deiner Mutter stehlen, du hast doch nichts dagegen? Vielleicht sagte sie ja: Gute Idee, die blöde Kuh hat sie sowieso nicht verdient. Nein, so reagierte sie bestimmt nicht. Zwar hielt sie sich für radikal und glaubte an die Umverteilung von Besitz, aber das ging kaum über die Theorie hinaus. Würde er ihre Familie tatsächlich um einen Teil ihres Vermögens erleichtern, so wäre sie bis ins Innerste erschüttert. Es käme für sie einem Schlag ins Gesicht gleich, und ihre Gefühle für ihn wären nie mehr dieselben.
    Jetzt warf sie ihm einen Blick zu und lächelte ihn an.
    Schuldbewußt lächelte er zurück und sah rasch wieder aus dem Fenster.
    Die Maschine flog auf eine hufeisenförmige Bucht zu, deren Ufer vereinzelte Dörfer mit umliegendem Ackerland säumten. Bei näherem Hinsehen entdeckte Harry eine Eisenbahnlinie, die sich durch das Farmland schlängelte und an der Landungsbrücke endete. In der Nähe dieses Piers waren mehrere Boote unterschiedlicher Größe und ein kleines Wasserflugzeug vertäut. Östlich des Piers zog sich ein meilenweiter Sandstrand hin, in dessen Dünen sich hier und da ein großes Sommerhaus schmiegte. Wie schön es wäre, ein Sommerhaus an einem Strand wie diesem zu besitzen! dachte Harry. Nun ja, wenn ich es nur will, werde ich es auch bekommen, dachte er bei sich. Ich werde reich sein!
    Das Flugzeug setzte sanft auf dem Wasser auf. Harry, mittlerweile erfahren als Flugreisender, verspürte kaum noch Nervosität.
    »Wieviel Uhr ist es, Percy?« erkundigte er sich.
    »Elf Uhr Ortszeit. Wir haben eine Stunde Verspätung.«
    »Und wie lange bleiben wir hier?«
    »Eine Stunde.«
    In Shediac bediente man sich einer anderen Anlegemethode als bisher. Die Passagiere wurden nicht in Booten an Land gebracht, sondern eine Art Krabbenkutter kam ihnen entgegen und zog die Maschine in den Hafen. An beiden Enden des Flugzeugs wurden Trossen befestigt, mit denen es in ein Schwimmdock gehievt wurde, das über einen Laufsteg mit dem Pier verbunden war.
    Dank dieser Prozedur hatte Harry ein Problem weniger. Bei vorangegangenen Zwischenaufenthalten hatte es stets nur eine einzige Gelegenheit zum Landgang gegeben, weil die Passagiere per Boot an Land gebracht worden waren. Seitdem hatte Harry sich den Kopf nach einer plausiblen Entschuldigung zerbrochen, die es ihm ermöglichen würde, ohne Margaret an Bord zu bleiben. Jetzt konnte er sie jedoch vorangehen lassen und ihr sagen, er käme in ein paar Minuten nach. In diesem Fall würde sie wohl kaum darauf bestehen, bei ihm zu bleiben.
    Ein Steward öffnete die Tür, und die Passagiere zogen sich Mäntel über und setzten Hüte auf. Die Oxenfords erhoben sich alle und Clive Membury auch, der den ganzen Flug über kaum einen Ton von sich gegeben hatte – außer seiner, wie Harry sich gerade erinnerte, sehr angeregten Unterhaltung mit Baron Gabon. Worüber sie wohl geredet hatten? Er verscheuchte den Gedanken ungeduldig und konzentrierte sich auf seine eigenen Probleme. Als die Oxenfords hinausgingen, flüsterte er Margaret zu: »Ich komme gleich nach« und begab sich auf die Herrentoilette.
    Um nicht untätig herumzustehen, kämmte er sich das Haar und wusch sich die Hände. Aus einem ihm unbekannten Grund war das Fenster im Laufe der Nacht zerbrochen. Inzwischen war eine durchgehende Blende am Rahmen befestigt worden. Er hörte die Besatzung die Treppe vom Flugdeck herunterkommen und an der Tür vorbeigehen. Ein Blick auf die Uhr brachte ihn zu dem Entschluß, noch ein paar Minuten länger zu warten.
    Er vermutete, daß fast alle von Bord gehen würden. Viele Passagiere waren in Botwood zu schläfrig gewesen, aber jetzt wollten sie sich gewiß die Beine vertreten und frische Luft schnappen. Ollis Field und sein Gefangener würden, wie stets, an Bord bleiben. Es war schon merkwürdig, daß Membury, der doch ein Auge auf Frankie werfen sollte, ebenfalls an Land ging. Dieser Mann im weinroten Jackett gab Harry immer noch Rätsel auf.
    Die Putzkolonne würde bald an Bord kommen. Er lauschte angestrengt, aber draußen tat sich nichts. Er öffnete die Tür einen Spaltbreit und spähte hinaus. Die Luft war rein, und er ging vorsichtig hinaus.
    Die Kombüse gegenüber war leer. Harry warf einen Blick in Abteil Nummer zwei: ebenfalls leer. Im Salon sah er eine Frau mit Besen, die ihm den Rücken zukehrte, und er ging, ohne zu zögern, die Treppe hinauf.
    Er trat behutsam auf, um sich nicht zu verraten. Auf dem

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