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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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in deinem Leben gegen Mervyn zur Wehr gesetzt hast.«
    Stimmte das? Wahrscheinlich schon. »Ja, das hab‘ ich wohl.«
    »Jetzt hast du keine Angst mehr vor ihm, nicht wahr?«
    Sie dachte darüber nach. »Du hast recht, das ist vorbei.«
    »Und weißt du auch, was das heißt?«
    »Es heißt, daß ich keine Angst mehr vor ihm habe.«
    »Mehr als das. Es heißt, daß du ihn nicht mehr liebst.«
    »Wirklich?« meinte sie nachdenklich. Sie hatte sich eingeredet, daß sie Mervyn schon lange nicht mehr liebte, doch als sie jetzt in sich hineinhörte, wurde ihr klar, daß das nicht stimmte. Den ganzen Sommer über hatte sie noch in seinem Bann gestanden – und zwar selbst dann, als sie ihn betrog. Sogar nachdem sie ihn bereits verlassen hatte, war seine Macht über sie noch nicht vollends gebrochen gewesen. Im Flugzeug noch waren ihr plötzlich Bedenken gekommen, und sie hatte erwogen, zu ihm zurückzukehren. Aber damit war jetzt endgültig Schluß.
    »Und was ist, wenn er sich mit der Witwe davonmacht?« wollte Mark wissen.
    Ohne nachzudenken, erwiderte sie: »Was geht mich das an?«
    »Siehst du?«
    Sie lachte. »Du hast recht«, sagte sie. »Es ist endlich vorbei.«
    Als die Maschine zum Anflug auf die Bucht von Shediac im St.- Lorenz-Golf ansetzte, befielen Harry zunehmend Zweifel an seinem Plan, Lady Oxenfords Juwelen zu stehlen. Margaret stand diesem Vorhaben im Weg. Es bedeutete ihm mehr als alle Juwelen der Welt, mit ihr im gleichen Bett zu schlafen, im Waldorf-Hotel aufzuwachen und sich Frühstück aufs Zimmer zu bestellen. Er freute sich allerdings auch darauf, mit ihr nach Boston zu gehen, dort Zimmer zu suchen und ihr zu helfen, auf eigenen Beinen zu stehen. Dabei würde er sie noch sehr viel besser kennenlernen. Ihre Vorfreude war ansteckend; er teilte inzwischen die freudige Erwartung, mit der sie ihrem gemeinsamen spartanischen Leben entgegensah.
    Doch wenn er den Schmuck ihrer Mutter stahl, war‘s aus mit diesen Zukunftsplänen.
    Shediac war der letzte Zwischenstopp vor New York. Er mußte also rasch zu einem Entschluß kommen, denn dort bot sich ihm die letzte Chance, in den Laderaum zu gelangen.
    Erneut fragte er sich, ob es nicht doch eine Möglichkeit gab, beides zu bekommen, Margaret und den Schmuck. Müßte sie überhaupt je erfahren, daß er es war, der ihn gestohlen hatte? Lady Oxenford würde den Verlust erst bemerken, wenn sie ihren Koffer öffnete, vermutlich also im Waldorf. Dann konnte niemand mehr genau sagen, wo die Juwelen abhanden gekommen waren – im Flugzeug, schon vor oder erst nach dem Flug. Aber Margaret wußte, daß er ein Dieb war; ihr Verdacht fiele zuallererst auf ihn. Ob sie ihm glauben würde, wenn er jede Schuld von sich wies? Nun ja, vielleicht. Und dann? In Boston würden sie ein ärmliches Leben fristen, obwohl er hunderttausend Dollar auf der Bank liegen hätte! Aber nicht lange. Sie würde sich etwas einfallen lassen und nach England zurückkehren, um sich dem weiblichen Hilfscorps anzuschließen, während er nach Kanada ging, um Pilot zu werden. Der Krieg würde ein, zwei Jahre, vielleicht auch länger dauern. Sobald er vorüber war, wollte er sein Geld von der Bank holen und den Landsitz erwerben; und vielleicht würde Margaret zurückkommen und dort mit ihm leben… und wissen wollen, woher das Geld stammte.
    So oder so, früher oder später: Er mußte es ihr sagen. Je später, desto besser.
    Er mußte ihr in Shediac einen Vorwand dafür liefern, daß er an Bord blieb. Die Ausrede, er fühle sich nicht gut, kam nicht in Frage, denn dann würde sie mit Sicherheit bei ihm bleiben wollen und damit alles vereiteln. Er mußte dafür sorgen, daß sie von Bord ging und ihn in Ruhe ließ.
    Er sah sie über den Gang hinweg an. Margaret schnallte sich gerade an und zog dabei den Bauch ein. Plötzlich überfiel ihn die Vorstellung, sie säße dort in der gleichen Pose, aber nackt, mit bloßen Brüsten, die sich vor dem durch die niedrigen Fenster fallenden Licht abhoben. In seiner Phantasie sah er ein Büschel kastanienfarbener Haare zwischen ihren Schenkeln hervorlugen, sah, wie sie ihre langen Beine von sich streckte. Ist es nicht der Gipfel der Idiotie, dachte er, so einen Schatz wegen einer Handvoll Rubine zu verlieren?
    Aber es ging nicht nur um eine Handvoll Rubine, es ging um das Delhi-Ensemble. Das war hunderttausend Dollar wert, mehr als genug, um Harry zu dem zu machen, was er immer hatte sein wollen: ein reicher Müßiggänger.
    Dennoch spielte er mit dem Gedanken, ihr

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