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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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brauchte ein Weile, bis er aus ihnen klug wurde. Es handelte sich offenbar um Inhaberobligationen, von denen jede einzelne hunderttausend Dollar wert war.
    Fünfzig davon summierten sich auf fünf Millionen Dollar, und das waren eine Million Pfund.
    Harry saß da und starrte die Papiere an. Eine Million Pfund. Es überstieg fast sein Vorstellungsvermögen.
    Harry wußte, warum sie sich im Gepäck befanden: Die britische Regierung hatte Notstandsmaßnahmen zur Devisenkontrolle eingeführt, um dem Geldfluß ins Ausland einen Riegel vorzuschieben.
    Oxenford schmuggelte seine Wertpapiere außer Landes, und das war natürlich strafbar.
    Er ist genauso ein Gauner wie ich, dachte Harry und verzog das Gesicht.
    Harry hatte noch nie Wertpapiere gestohlen. Ob sie sich wohl zu Geld machen ließen? Auf jedem einzelnen Zertifikat stand klar und deutlich, daß die Summe an den Inhaber zu zahlen war. Die Dokumente waren außerdem einzeln nummeriert und folglich leicht zu identifizieren. Ob Oxenford ihren Diebstahl wohl melden würde? Das käme dem Eingeständnis gleich, daß er sie aus England herausgeschmuggelt hatte. Aber er würde sich wahrscheinlich eine plausible Lügengeschichte einfallen lassen.
    Es war zu gefährlich, und Harry hatte auf diesem Gebiet keinerlei Erfahrung. Sie werden mich nur schnappen, wenn ich versuche, die Papiere zu Geld zu machen, dachte er und legte die Wertpapiere daher widerstrebend beiseite.
    Bei dem zweiten verborgenen Gegenstand handelte es sich um ein braunes Ledermäppchen, das an eine übergroße Herrenbrieftasche erinnerte. Harry löste es von der Rückwand.
    Es sah wie ein Schmucketui aus.
    Das weiche Leder wurde durch einen Reißverschluß zusammengehalten. Er breitete es aus.
    Vor ihm auf dem schwarzen Samtfütter lag das Delhi-Ensemble.
    Im Halbdunkel des Frachtraums schien es wie die Fenster einer Kathedrale zu leuchten. Das tiefe Rot der Rubine wechselte sich ab mit den schillernden Regenbogenfarben der Diamanten. Die Steine waren riesig, perfekt aufeinander abgestimmt und erlesen gefaßt: Jeder einzelne saß auf einem Untergrund aus Gold und war von feinen goldenen Blütenblättern umgeben. Harry war von Ehrfurcht ergriffen.
    Feierlich nahm er das Collier in die Hände und ließ die Edelsteine gleich farbigem Wasser durch seine Finger rinnen. Wie merkwürdig, dachte er nachdenklich, daß etwas so warm aussehen und sich dabei so kalt anfühlen kann. Es war das schönste Schmuckstück, das er je gesehen hatte, vielleicht sogar das schönste, das je gefertigt worden war.
    Und es würde sein Leben verändern.
    Nach ein oder zwei Minuten legte er das Collier wieder hin und begutachtete den Rest des Ensembles. Das Armband war ganz ähnlich gearbeitet, abwechselnd mit Rubinen und Diamanten besetzt, nur waren die Steine entsprechend kleiner. Die Ohrringe waren ganz besonders exquisit: von den mit je einem Rubin besetzten Steckern fielen Tropfen aus sich abwechselnden kleinen Diamanten und Rubinen herab, die durch ein Goldkettchen miteinander verbunden waren, und jeder Stein saß in einer goldenen Miniaturausgabe der Blütenfassung.
    Harry stellte sich den Schmuck an Margaret vor. Das Rot und das Gold mußten auf ihrer blassen Haut umwerfend aussehen. Ich würde sie gerne in nichts anderem als diesen Schmuckstücken sehen, dachte Harry, und spürte, wie sich sein Glied versteifte.
    Er wußte nicht mehr zu sagen, wie lange er so auf dem Boden gesessen und die wertvollen Edelsteine angestarrt hatte, als er auf einmal jemanden kommen hörte.
    Sein erster Gedanke war, daß es sich wieder um den Zweiten Ingenieur handeln mußte, aber die Schritte klangen anders, waren aufdringlich, aggressiv, autoritär – dienstlich.
    Plötzlich überkam ihn die nackte Angst, sein Magen verkrampfte sich, er biß die Zähne zusammen und ballte die Fäuste.
    Die Schritte kamen schnell näher. Harry setzte die Schubladen hastig wieder ein, warf den Umschlag mit den Wertpapieren hinein und schloß den Schrankkoffer. Er stopfte sich gerade das Delhi-Ensemble in die Tasche, als die Tür zum Frachtraum geöffnet wurde.
    Harry duckte sich hinter den Koffer.
    Dann herrschte einen unendlichen Moment lang völlige Stille, und er befürchtete schon, daß er nicht schnell genug in Deckung gegangen war und der Kerl ihn gesehen hatte. Er vernahm den gepreßten Atem eines übergewichtigen Mannes, der zu schnell die Treppe hinaufgehetzt war. Ob er jetzt hereinkommt und sich gründlich umsieht? Harry hielt den Atem an. Die Tür

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