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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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fragte er.
    »Wer?«
    »Die Toilette.«
    Die Miene des jungen Mannes hellte sich auf. »Oh, ich verstehe. Das ist die grüne Tür am anderen Ende des Korridors.«
    »Herzlichen Dank.«
    »Nichts zu danken.«
    Harry schritt den Gang zurück. »Ein sehr schönes Haus«, bemerkte er.
    »Nicht wahr?« Der junge Herr stieg die Treppe hinunter und verschwand Harry gestattete sich ein erleichtertes Grinsen. Wie leichtgläubig die Leute doch sein konnten!
    Er kehrte wieder um und betrat das rosa Zimmer. Wie erwartet, gehörte es zu einer ganzen Flucht. Der Farbzusammenstellung nach war es wohl Lady Monkfords Gemach. Ein rascher Blick zeigte ihm hinter einer Seitentür einen kleinen Ankleideraum, ebenfalls in Rosa; ein anschließendes, nicht ganz so großes Schlafzimmer mit grünen Ledersesseln und gestreifter Tapete und einer Tür zu einem Herren- ankleideraum. Ehepaare der Oberschicht schliefen oft getrennt, wie Harry wußte; ihm war jedoch nicht klar, ob sie das taten, weil sie weniger scharf auf ehelichen Sex waren als die Arbeiterklasse, oder weil sie ganz einfach fanden, daß sie die vielen Räumlichkeiten ihrer riesigen Häuser nutzen mußten.
    In Sir Simons Ankleideraum stand ein schwerer Mahagonischrank mit dazugehörender Herrenkommode. Harry zog die oberste Schublade heraus. In einer kleinen Schmuckschatulle aus Leder befanden sich Krawattennadeln, Kragenstäbchen und Manschettenknöpfe, keineswegs ordentlich abgelegt, sondern wirr durcheinander, nach der Benutzung offenbar einfach hineingeschmissen. Das meiste davon war ziemlich schlicht, aber Harrys fachmännisches Auge entdeckte ein hübsches Paar Manschettenknöpfe aus Gold, mit kleinen Rubinen besetzt. Er steckte sie in seine Tasche. Neben der Schmuckschatulle lag eine Brieftasche aus feinem Leder, sie enthielt etwa fünfzig Pfund in Fünfpfundscheinen. Harry nahm sich zwanzig Pfund heraus und war sehr zufrieden mit sich. In einer schmutzigen Fabrik mußte man zwei Monate schwer arbeiten, um zwanzig Pfund zu verdienen.
    Er stahl nie alles. Wenn nur vereinzelt Stücke fehlten, waren sich die Bestohlenen nie ganz sicher, ob sie den vermißten Schmuck nicht vielleicht nur verlegt oder sich bei der Geldsumme geirrt hatten; deshalb zögerten sie, den Diebstahl zu melden.
    Er schloß die Lade und ging in Lady Monkfords Schlafzimmer. Er war versucht, sich gleich mit der wertvollen Beute, die er bereits gemacht hatte, in Sicherheit zu bringen, entschied sich jedoch, noch ein paar Minuten zu riskieren. Frauen hatten gewöhnlich teureren
    Schmuck als ihre Gatten. Möglicherweise besaß Lady Monkford Saphirschmuck. Harry liebte Saphire.
    Es war ein milder Abend, und ein Fenster stand weit offen. Harry warf einen Blick hindurch und sah einen kleinen Balkon mit schmiedeeiserner Balustrade. Er begab sich rasch in den Ankleideraum und setzte sich an die Frisiertoilette. Er öffnete alle Schubladen und fand mehrere Schatullen und offene Schalen mit Schmuckstücken. Er kramte schnell darin herum und lauschte dabei wachsam, ob sich nicht jemand der Tür näherte.
    Lady Monkford hatte keinen guten Geschmack. Sie war eine hübsche Frau, aber Harry hatte sie gleich auf den ersten Blick für ein wenig beschränkt gehalten, und sie – oder ihr Gemahl – wählte auffallenden, verhältnismäßig wertlosen Schmuck. Ihre Perlen waren ungleichmäßig, ihre Broschen groß und schreiend, ihre Ohrringe plump und ihre Armbänder protzig. Er war enttäuscht.
    Er zögerte gerade noch bei einem einigermaßen hübschen Anhänger, als er hörte, wie die Schlafzimmertür geöffnet wurde.
    Er erstarrte, sein Magen krampfte sich zusammen, und seine Gedanken überschlugen sich.
    Die einzige Tür des Ankleideraums führte ins Schlafzimmer. Es gab zwar ein kleines Fenster, doch das war geschlossen und ließ sich wahrscheinlich nicht schnell und leise genug öffnen. Er überlegte, ob er sich vielleicht im Schrank verstecken sollte.
    Wo er stand, konnte er die Schlafzimmertür nur teilweise sehen. Er hörte, wie sie geschlossen wurde, dann das Husten einer Frau und leichte Schritte auf dem Teppich. Er beugte sich zum Spiegel hinüber, in dem sich ein Teil des Schlafzimmers spiegelte. Lady Monkford war gekommen und näherte sich der Tür zum Ankleideraum. Es war nicht einmal mehr Zeit, die Schubläden zu schließen.
    Sein Atem ging schnell. Seine Nerven waren angespannt vor Angst, aber er befand sich nicht zum ersten Mal in einer Klemme wie dieser. Er wartete einen Augenblick und zwang sich,

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