Nacht über den Wassern
verließ die Navy und bekam eine gutbezahlte Stellung bei Pan American Airways.
Zwischen den Flügen arbeitete er an dem alten Haus, installierte sanitäre Anlagen und elektrische Leitungen und einen Boiler. Das Material bezahlte er von seinem Ingenieursgehalt. Er kaufte elektrische Heizkörper für die Schlafzimmer, ein Radio und ließ sogar ein Telefon anschließen. Dann lernte er Carol-Ann kennen. Bald, so hatte er gedacht, würde Kinderlachen das Haus erfüllen und damit sein Traum wahr werden.
Statt dessen hatte nun ein Alptraum begonnen.
Die ersten Worte, die Mark Alder zu Diana Lovesey sagte, waren: »Meine Güte, so was Erfreuliches wie Sie ist mir heute den ganzen Tag noch nicht untergekommen.«
Dergleichen sagten die Leute ständig zu ihr. Sie war hübsch und quicklebendig und zog sich gern gut an. An diesem Abend trug sie ein langes türkises Kleid mit kleinen Aufschlägen, gekräuseltem Oberteil und kurzen Ärmeln, die am Ellbogen gerafft waren; und sie wußte, daß sie gut aussah.
Sie nahm im Hotel Midland in Manchester an einem Wohltätigkeitsball teil. Sie war nicht sicher, ob die Handelskammer dazu eingeladen hatte oder die Damen der Freimaurer oder das Rote Kreuz. Bei diesen Veranstaltungen traf man immer dieselben Leute. Sie hatte bereits mit den meisten Geschäftsfreunden Mervyns, ihres Gatten, getanzt, die sie zu dicht an sich zogen und ihr auf die Füße getreten waren – wenn die Blicke ihrer Gemahlinnen hätten töten können, wäre sie längst tot umgekippt. Wie merkwürdig, dachte Diana, wenn ein Mann sich eines hübschen Mädchens wegen zum Narren macht, gab seine Frau immer dem Mädchen die Schuld, nie ihm. Nicht daß Diana Absichten auf nur einen dieser selbstgefälligen Ehemänner gehabt hätte, die schon fünf Meilen gegen den Wind nach Whisky rochen.
Sie hatte sie alle schockiert, und ihr war nicht entgangen, wie verlegen ihr Mann gewesen war, als sie dem stellvertretenden Bürgermeister einen Jitterbug beibrachte. Aber dann hatte sie unbedingt eine Pause gebraucht und hatte sich, mit der Ausrede, sich Zigaretten zu holen, an die Hotelbar zurückgezogen.
Mark saß dort allein bei einem Cognac und schaute sie an, als hätte sie die Sonne mitgebracht. Er war ein kleiner, gepflegter Mann mit einem jungenhaften Lächeln und amerikanischem Akzent. Seine Bemerkung war offenbar spontan, und er hatte eine charmante Art, deshalb lächelte sie ihm zu, sagte jedoch nichts. Sie kaufte sich Zigaretten, trank ein Glas Mineralwasser und kehrte zu dem Ball zurück.
Er mußte wohl den Barkeeper gefragt haben, wer sie war, und irgendwie hatte er ihre Adresse herausgefunden, denn am nächsten Tag erhielt sie einen Brief auf Hotelpapier von ihm.
Eigentlich war es ein Gedicht.
Es begann:
Tief in meinem Herzen für alle Ewigkeit
Ist das Bild deines Lächelns gefangen
Unberührt von Schmerz und Kummer und Zeit
Sie mußte weinen.
Sie weinte wegen allem, was sie sich erhofft und nie erreicht hatte. Sie weinte, weil sie mit einem Mann, der nie Ferien machen wollte, in einer häßlichen Industriestadt wohnte. Sie weinte, weil das Gedicht seit fünf Jahren das einzig Schöne und Romantische war, das sie erlebt hatte. Und sie weinte, weil sie Mervyn nicht mehr liebte.
Alles andere geschah sehr rasch.
Der nächste Tag war ein Sonntag. Am Montag ging sie in die Stadt. Normalerweise hätte sie als erstes die Bibliothek aufgesucht, um ihr Buch abzugeben und sich ein neues mitzunehmen; dann im Paramount-Kino in der Oxford Street für zwei Shillings und Sixpence eine Karte für Lunch-und-Matinee erstanden. Nach dem Film wäre sie zum Kaufhaus Lewis und zu Finnigan gegangen und hätte ein paar Seidenbänder oder Servietten oder kleine Geschenke für die Kinder ihrer Schwester gekauft. Vielleicht wäre sie dann noch weiter zu den kleinen Läden in The Shambles spaziert, um exotischen Käse oder einen besonderen Schinken für Mervyn zu besorgen. Danach nahm sie immer den Zug zurück nach Altrincham, dem Vorort, wo sie wohnte, rechtzeitig, um das Abendessen zu richten.
Diesmal trank sie Kaffee im Cafe des Hotels Midland, speiste zu Mittag in dem deutschen Restaurant im Untergeschoß des Hotels Midland und trank den Nachmittagstee in der Lounge des Hotels Midland. Aber nirgendwo sah sie den charmanten Mann mit dem amerikanischen Akzent.
Niedergeschlagen kehrte sie nach Hause zurück. Lächerlich, schalt sie sich. Sie hatte ihn eine knappe Minute gesehen und kein Wort zu ihm gesagt! Dennoch schien er ihr
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