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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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oder die Polizei des Bundesstaats Maine oder gar das F.B.I., damit sie anfingen, nach einem abgelegenen Haus zu suchen, das erst kürzlich von einem Mann gemietet worden war…
    »Verständigen Sie nicht die Polizei. Es würde Ihnen absolut nichts nützen«, hatte die Stimme am Telefon gesagt. »Aber wenn Sie es tun, fick‘ ich Ihre Frau, bloß um Ihnen eins auszuwischen.«
    Eddie glaubte ihm. In der boshaften Stimme hatte ein Hauch von Verlangen geschwungen, als hoffte der Kerl geradezu auf eine Ausrede, seine Frau zu vergewaltigen. Mit ihrem leicht gerundeten Bauch und den angeschwollenen Brüsten sah sie aufregend wie eine Fruchtbarkeitsgöttin aus…
    Er ballte die Fäuste, aber da war nichts als die Wand, auf die er hätte einboxen können. Mit einem verzweifelten Stöhnen stolperte er ins Freie und überquerte halb blind den Rasen. Vor einer Baumgruppe blieb er abrupt stehen und lehnte die Stirn an die rissige Rinde einer Eiche.
    Eddie war ein einfacher Mann. Er war auf einem Gehöft ein paar
    Kilometer außerhalb von Bangor geboren. Sein Vater war nur ein kleiner Farmer gewesen, der sich mit ein paar Kartoffeläckern, einer Schar Hühner, einer Kuh und einem Feld durchschlug, auf dem er Gemüse anbaute. Für arme Leute war New England ein schlimmes Fleckchen Erde: Die Winter waren lang und bitterkalt. Mama und Papa glaubten, daß alles, was geschah, Gottes Wille sei. Sogar als Eddies Schwesterchen als Baby an Lungenentzündung starb, hatte Papa gesagt, Gott habe es aus einem Grund beschlossen, »den wir nur nicht verstehen können«. Zu jener Zeit hatte Eddie davon geträumt, im Wald einen vergrabenen Schatz zu finden: eine messingbeschlagene Piratentruhe bis obenhin voll mit Gold und Edelsteinen, wie in den alten Geschichten. In seiner Phantasie ging er mit einer Goldmünze nach Bangor und kaufte große, weiche Betten, einen ganzen Anhänger voll Brennholz, feines Porzellan für seine Mutter, Schaffellmäntel für die gesamte Familie, dicke Steaks und einen ganzen Eiskasten voll Gefrorenes und eine Ananas. Das baufällige Farmhaus wurde zu einem warmen, gemütlichen Zuhause voller Glück.
    Einen vergrabenen Schatz fand er nicht, aber er erwarb sich eine Schulbildung, obwohl er dazu jeden Tag zehn Kilometer zu Fuß gehen mußte. Er tat es gern, weil es im Klassenzimmer wärmer war als zu Hause; und Mrs. Maple mochte ihn, weil er immer genau wissen wollte, wie etwas funktionierte.
    Jahre später schrieb Mrs. Maple an den Kongreßabgeordneten, der Eddie schließlich die Aufnahmeprüfung für die Marineakademie in Annapolis ermöglichte.
    Für Eddie war die Naval Academy ein Paradies. Es gab Wolldek- ken und gute Kleidung und zu essen, soviel man wollte. Nie hatte er von einem solchen Luxus bisher auch nur geträumt. Der harte körperliche Drill machte ihm gar nichts aus; das Geschwafel war nicht schlimmer als das, was er sein Leben lang in der Kirche gehört hatte; und die Maßregelungen waren eine lächerliche Schikane verglichen mit der Prügel, die er von seinem Vater bezogen hatte.
    In Annapolis wurde ihm zum erstenmal bewußt, welchen Eindruck er auf andere machte, daß er gewissenhaft, hartnäckig, starrköpfig und fleißig war. Trotz seiner schmächtigen Statur wurde er selten von den Schlägertypen unter den Mitschülern belästigt, die andere tyrannisierten: Der Ausdruck seiner Augen, wenn er sie nur anblickte, machte ihnen angst. Man mochte ihn, weil er zuverlässig war und wirklich hielt, was er versprach, aber niemand weinte sich je an seiner Schulter aus.
    Er war überrascht, daß man ihn lobte, weil er so hart arbeitete. Sowohl Papa wie Mrs. Maple hatten ihn gelehrt, daß man bekommen konnte, was man wollte, wenn man dafür arbeitete, und Eddie hatte sich eine andere Möglichkeit auch nie vorgestellt. Trotzdem war er stolz auf dieses Lob. Seines Vaters höchste Wertschätzung war gewesen, jemanden einen »driver« zu nennen, das in Maine übliche Wort für einen, der hart arbeitete.
    Er wurde zum Leutnant ernannt und zur Ausbildung auf Flugbooten abgestellt. Annapolis war komfortabel gewesen, verglichen mit seinem Zuhause, und die U.S. Navy war regelrecht luxuriös. Er konnte seinen Eltern Geld schicken, damit sie das Hausdach reparierten und einen neuen Herd kauften.
    Er war vier Jahre in der Navy, als Mama starb, und Papa folgte ihr nur fünf Monate später. Das bißchen Ackerland wurde von der benachbarten Farm übernommen, aber das Haus und das Waldstück erhielt Eddie für ein Butterbrot. Er

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