Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
Miene. Sie setzte sich zu ihm und trank ihren Tee, während Harry sein Speckbrot aß. Als er fertig war, holte er sein Geld hervor und zählte fünfzig Pfund ab.
    »Wofür ist das?« fragte sie. Soviel verdiente sie durch Büroputzen in zwei Jahren.
    »Für Notfälle«, antwortete er. »Nimm es, Ma. Ich will, daß du eine Reserve hast.«
    Sie nahm die Scheine. »Dann willst du also wirklich weg.«
    »Ich werde mir Sid Brennans Motorrad borgen und heute noch nach Southampton fahren, um mich nach einem Schiff umzusehen.« Sie langte über den Tisch und nahm seine Hand. »Viel Glück, mein Sohn.«
    Er drückte liebevoll ihre Hand. »Ich werde dir Geld aus Amerika schicken.«
    »Nicht nötig, außer du hast mal was übrig. Mir ist‘s lieber, du schreibst mir hin und wieder, damit ich weiß, wie‘s dir geht.«
    »Ich schreibe bestimmt.«
    Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Komm zurück und besuch deine alte Mama wieder, ja?«
    Wieder drückte er ihre Hand. »Ganz bestimmt, Ma. Ich komme wieder.«
    Harry betrachtete sich im Spiegel des Friseurs. Der blaue Anzug, der ihn dreizehn Pfund gekostet hatte, saß wunderbar und paßte gut zu seinen blauen Augen. Der weiche Kragen seines neuen Hemds wirkte amerikanisch. Der Friseur bürstete über die gepolsterten Schultern des doppelreihigen Jacketts. Harry gab ihm ein Trinkgeld und ging.
    Er stieg die Marmortreppe vom Untergeschoß hinauf in das prunkvolle Foyer des Hotels South-Western. Es war gedrängt voll, da es der Ausgangspunkt für die meisten Überseereisen war und Tausende von Personen England verlassen wollten – wie viele hatte Harry erkennen müssen, als er versucht hatte, eine Kabine auf einem Dampfer zu bekommen. Alle Schiffe waren seit Wochen ausgebucht. Einige
    Schiffahrtslinien hatten ihre Schalter geschlossen, um nicht Arbeitszeit zu vergeuden, wenn sie Interessenten doch nur wegschicken mußten. Eine Zeitlang war Harry nahe daran gewesen, aufzugeben und sich irgend etwas anderes einfallen zu lassen, als ein Angestellter eines Reisebüros den Pan-American-Clipper erwähnte.
    Harry hatte in den Zeitungen über den Clipper gelesen. Die Linienflüge hatten im Sommer begonnen. Statt in vier oder fünf Tagen mit dem Schiff konnte man in weniger als dreißig Stunden mit dem Flugzeug in New York sein. Aber ein einfacher Flug kostete neunzig Pfund. Neunzig Pfund! Dafür bekam man fast ein neues Auto.
    Harry hatte das Ticket dennoch gekauft. Es war Wahnsinn, doch nachdem er sich einmal entschlossen hatte, hätte er jeden Preis bezahlt, um das Land verlassen zu können. Und das Flugzeug war verführerisch luxuriös: Champagner die ganze Strecke nach New York. Das war die Art von verrückter Extravaganz, die Harry liebte.
    Er zuckte jetzt nicht mehr jedesmal zusammen, wenn er einen Polizisten sah. In Southampton konnte die Polizei unmöglich etwas von ihm wissen. Aber er war nervös, weil er noch nie zuvor geflogen war.
    Er blickte auf seine Armbanduhr, die er einem Kammerherrn aus dem Buckingham Palast entwendet hatte. Er hatte noch Zeit für eine schnelle Tasse Kaffee, um seinen Magen zu beruhigen. Er ging in die Lounge.
    Während er seinen Kaffee nippte, kam eine umwerfend schöne Frau herein. Sie war von makellosem Blond und trug ein rotgetüpfeltes cremefarbenes Seidenkleid, das ihre Wespentaille betonte. Harry schätzte sie auf Anfang Dreißig, also etwa zehn Jahre älter als sich, aber das hielt ihn nicht davon ab, sie anzulächeln, als ihr Blick auf ihn fiel.
    Sie setzte sich an den Nebentisch, und Harry bewunderte, wie die gepunktete Seide sich um ihren Busen schmiegte und über ihre Knie drapierte. Sie trug cremefarbene Schuhe und einen Strohhut und stellte eine kleine Handtasche auf den Tisch.
    Einen Augenblick später setzte sich ein Herr in einem Blazer zu ihr.
    Als sie sich unterhielten, erkannte Harry, daß sie Engländerin war, er jedoch Amerikaner. Harry lauschte aufmerksam, um seinen Akzent aufzufrischen. Sie hieß Diana und der Herr Mark. Er sah, wie Mark ihren Arm berührte. Sie lehnte sich an ihn. Sie waren verliebt und sahen niemanden sonst: Die Lounge hätte leer sein können.
    Harry verspürte ein wenig Neid.
    Er wandte den Blick ab. Er hatte immer noch ein mulmiges Gefühl. Ein Flug über den ganzen Atlantik stand ihm bevor. Das war eine sehr lange Strecke, ganz ohne Land unter sich. Das Prinzip des Fliegens hatte er nie verstanden, die Propeller drehten sich unentwegt, wie war es also möglich, daß das Flugzeug in die Luft kam?
    Während

Weitere Kostenlose Bücher