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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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er Mark und Diana zuhörte, versuchte er, nonchalant zu wirken. Er wollte nicht, daß die anderen Passagiere im Clipper erkannten, wie nervös er war. Ich bin Harry Vandenpost, sagte er sich, ein wohlhabender junger Amerikaner, der nach Hause zurückkehrt – wegen des Kriegs in Europa. Jurrup auf amerikanisch ausgesprochen. Ich habe momentan keine Stellung, aber ich werde wohl bald wieder eine finden. Mein Vater hat Kapitalanlagen. Meine Mutter, Gott hab‘ sie selig, war Engländerin, und ich besuchte die Schule in England. Zur Universität ging ich nicht – hielt nie was vom Büffeln (sagten die Amerikaner so? Er war sich nicht sicher). Ich war so lange in England, daß ich mir ein wenig die Umgangssprache angewöhnte. Ich bin ein paarmal geflogen, aber dies ist mein erster Flug über den Atlantik. Ich freue mich schon sehr darauf.
    Als er den Kaffee ausgetrunken hatte, hatte er kaum noch Angst.
    Eddie Deakin hängte auf. Er schaute sich in der Empfangshalle um: Sie war leer. Dann starrte er haßerfüllt auf das Telefon, das ihn in einen solchen Horror versetzt harte, als könne er den Alptraum beenden, wenn er den Apparat zerschmetterte. Schließlich drehte er sich schwerfällig um.
    Wo waren sie? Wohin hatten sie Carol-Ann gebracht? Warum hatten sie sie entführt? Was konnten sie nur von ihm wollen? Die Fragen surrten in seinem Kopf herum wie Fliegen in einem Glas. Er versuchte zu denken. Er zwang sich, sich jeweils auf eine Frage zu konzentrieren.
    Wer waren sie? Könnte es sich ganz einfach um Verrückte handeln? Nein, sie waren zu gut organisiert. Verrückte würden es vielleicht fertigbringen, jemanden zu entführen; aber sorgfältige Planung war erforderlich gewesen, um herauszufinden, wo Eddie sich gleich nach dem Flug aufhalten würde, um ihn im richtigen Augenblick mit Carol-Ann ans Telefon zu bekommen. Es waren kühl berechnende Leute, bereit, das Gesetz zu brechen. Es konnte sich bei ihnen um irgendwelche Anarchisten handeln, aber er tippte eher auf Gangster.
    Wohin hatten sie Carol-Ann gebracht? Sie hatte gesagt, sie befinde sich in einem Haus. Es konnte einem der Entführer gehören, aber wahrscheinlicher war, daß sie sich in einem einsam gelegenen, leeren Haus eingenistet oder es gemietet hatten. Carol hatte erwähnt, daß es vor zwei Stunden passiert war, folglich konnte das Haus sich nicht weiter als hundert bis hundertzwanzig Kilometer von Bangor entfernt befinden.
    Warum hatten sie sie entführt? Sie wollten etwas von ihm, etwas, das er nicht freiwillig geben oder für Geld tun würde.
    Es mußte mit dem Clipper zusammenhängen.
    Er würde seine Anweisungen im Flugzeug erhalten, hatten sie ihm gesagt, und zwar von einem Mann namens Tom Luther. Konnte es sein, daß Luther für jemanden arbeitete, der Details über Konstruktion und Funktionsweise des Flugzeugs haben wollte? Eine andere Fluggesellschaft möglicherweise, oder ein anderes Land? Von der Hand zu weisen war es nicht. Die Deutschen oder Japaner erhofften sich vielleicht, eine ähnliche Maschine als Bomber bauen zu können. Aber es gab zweifellos einfachere Methoden, an Blaupausen heranzukommen. Und Hunderte, ja Tausende konnten ihnen dazu nähere Informationen geben: Mitarbeiter von Pan Am, von Boeing, ja sogar Imperial-Airways-Mechaniker, die den Clipper hier in Hythe warteten. Eine Entführung wäre in einem solchen Fall überflüssig. Verdammt, allein schon in Zeitschriften waren mehr als genug technische Details veröffentlicht worden.
    Wollte jemand das Flugzeug etwa stehlen? Das konnte er sich schwer vorstellen.
    Die plausibelste Erklärung war, daß Eddie ihnen helfen sollte, etwas oder jemanden in die Vereinigten Staaten zu schmuggeln.
    Nun, soviel wußte er oder konnte er zumindest annehmen. Aber was sollte er tun?
    Er war ein gesetzestreuer Bürger und Opfer eines Verbrechens, und er wollte unbedingt die Polizei verständigen.
    Aber er hatte tödliche Angst.
    Nie zuvor in seinem ganzen Leben hatte er solche Angst gehabt. Als kleiner Junge hatte er sich vor Papa und dem Teufel gefürchtet, doch seither hatte ihm nichts mehr wirklich angst gemacht. Jetzt aber war er hilflos und starr vor Angst. Er fühlte sich wie gelähmt. Einen Augenblick lang konnte er nicht einmal einen Schritt machen.
    Er dachte an die Polizei.
    Er war im gottverdammten England, und es wäre wirklich sinnlos, sich an die hiesigen Polizisten zu wenden, die auf einem Fahrrad Dienst machten. Aber er könnte versuchen, den County Sheriff zu Hause anzurufen

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