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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Mervyn Angst hatte: Bei ihm äußerte sie sich als scheinbar unbekümmerter Optimismus. Marks Furcht machte sich in Verwünschungen bemerkbar.
    Sie war bestürzt über seine Einstellung, aber sie konnte seinen Standpunkt verstehen. Warum sollten Amerikaner für Polen oder überhaupt für Europa in den Krieg ziehen? »Und ich?« fragte sie. Sie bemühte sich um einen leichtfertigen Ton. »Du möchtest doch nicht, daß ich von blonden Nazis in spiegelblanken Stiefeln vergewaltigt werde, oder?« Das war nicht sehr komisch, und sie bereute es sofort.
    Da holte Mark einen Umschlag aus seinem Koffer und reichte ihn ihr.
    Sie zog ein Ticket heraus und studierte es. »Du fliegst heim!« rief sie. Es war wie das Ende der Welt.
    Er blickte sie ernst an und sagte nur: »Es sind zwei Flugtickets«« Ihr war, als müßte ihr Herz aussetzen. »Zwei Flugtickets«, wiederholte sie tonlos. Sie war verwirrt.
    Er setzte sich neben sie aufs Bett und nahm ihre Hand. Sie wußte, was er sagen würde, und war gleichermaßen freudig erregt und verstört.
    »Komm mit mir, Diana«, bat er. »Flieg mit mir nach New York. Dann reise nach Reno und laß dich scheiden. Danach fahren wir nach Kalifornien und heiraten. Ich liebe dich.«
    Fliegen! Sie konnte sich kaum vorstellen, über den Atlantik zu fliegen. So etwas gehörte in ein Märchen.
    Nach New York! New York war ein Traum von Wolkenkratzern und Nachtclubs, von Gangstern und Millionären, von reichen modischen Frauen und großen Autos.
    Laß dich scheiden! Frei von Mervyn sein!
    Danach fahren wir nach Kalifornien! Wo Filme gemacht wurden, wo Orangen wuchsen und die Sonne jeden Tag schien.
    Und heiraten! Und Mark die ganze Zeit haben, jeden Tag, jede Nacht.
    Sie brachte kein Wort hervor.
    Mark sagte: »Wir könnten ein Kind haben.«
    Sie hätte weinen können.
    »Frag mich noch einmal«, flüsterte sie.
    »Ich liebe dich, willst du mich heiraten und Kinder von mir haben?«
    »O ja«, antwortete sie, und ihr war, als fliege sie bereits. »Ja, ja, ja!«
    Sie mußte es Mervyn an diesem Abend sagen.
    Es war Montag. Am Dienstag würde sie mit Mark nach Southampton reisen. Der Clipper startete am Mittwoch um vierzehn Uhr.
    Sie schwebte im siebenten Himmel, als sie am Montag nachmittag heimkam, doch kaum hatte sie das Haus betreten, schwand ihre Euphorie.
    Wie sollte sie es ihm beibringen?
    Es war ein schönes Haus, eine große neue Villa mit rotem Ziegeldach. Sie hatte vier Zimmer, von denen drei so gut wie nie benutzt wurden, ein modernes Badezimmer und eine Küche mit den neuesten Haushaltsgeräten. Nun, da sie es verließ, sah sie alles voller Nostalgie: das war fünf Jahre lang ihr Zuhause gewesen!
    Sie bereitete Mervyns Mahlzeiten selbst zu. Mrs. Rollins machte die Wäsche und besorgte den Haushalt, und wenn Diana nicht gekocht hätte, hätte sie gar nichts zu tun gehabt. Außerdem war Mervyn im Grunde seines Herzens ein Kind der Arbeiterklasse, und er mochte es, wenn seine Frau die Mahlzeit auf den Tisch stellte, sobald er heimkam. Er nannte die Mahlzeit sogar »Tee«, und er trank auch Tee dazu, obwohl es immer etwas Herzhafteres war: Würstchen oder Steak oder Fleischpastete. »Dinner« gab es für Mervyn in Hotels. Zu Hause hatte man Tee.
    Was würde sie ihm sagen?
    Heute bekam er kaltes Roastbeef, das vom Sonntagsbraten übriggeblieben war. Diana band sich eine Schürze um und schnitt Kartoffeln zum Rösten. Als sie daran dachte, wie wütend Mervyn sein würde, zitterten ihre Hände so sehr, daß sie sich mit dem Gemüsemesser in den Finger schnitt.
    Sie kämpfte um ihre Fassung, während sie den Finger unter das kalte Wasser hielt, ihn mit einem Küchentuch abtrocknete und einen Verband herumwickelte. Wovor habe ich Angst? fragte sie sich. Er wird mich nicht umbringen. Und aufhalten kann er mich nicht, ich bin über einundzwanzig und lebe in einem freien Land.
    Das beruhigte ihre Nerven auch nicht.
    Sie deckte den Tisch und wusch den Kopfsalat. Obwohl Mervyn hart arbeitete, kam er fast immer zur selben Zeit heim. Er klagte stets: »Was nutzt es, daß ich der Chef bin, wenn ich mit der Arbeit doch aufhören muß, sobald die anderen heimgehen?« Er war Ingenieur und besaß eine Fabrik, die alle Arten von Rotoren herstellte, angefangen von kleinen Flügeln für Ventilatoren für Kühlsysteme bis zu riesigen Schiffsschrauben für Überseedampfer. Mervyn hatte immer Erfolg gehabt – er war ein guter Geschäftsmann –, aber den Glückstreffer hatte er gemacht, als er anfing, Propeller für

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