Nacht über den Wassern
furchtbar mitnehmen. Aber zunächst würde er rasend vor Wut sein.
Er aß seine Roastbeefscheiben auf und goß sich Tee nach. »Du hast aber nicht viel gegessen«, bemerkte er. Tatsächlich hatte sie überhaupt nichts gegessen.
»Das Mittagessen war zu reichlich«, antwortete sie.
»Wo warst du?«
Diese harmlose Frage versetzte sie in Panik. Sie hatte mit Mark Sandwiches im Bett gegessen, in einem Hotel in Blackpool, und ihr fiel keine glaubhafte Lüge ein. Die Namen der renommierten Restaurants in Manchester fielen ihr natürlich ein, aber es war möglich, daß Mervyn zum Lunch selbst in einem davon gewesen war. Nach einer peinlichen Pause antwortete sie: »Im Cafe Waldorf.« Es gab mehrere Waldorf-Cafes – es handelte sich um eine Kette billiger Restaurants, wo man Steak und Pommes frites bekam.
Mervyn fragte nicht, in welchem.
Sie griff nach den Tellern und stand auf. Ihre Knie waren so weich, daß sie befürchtete, sie würden unter ihr nachgeben, aber sie schaffte es bis zum Spülbecken. »Möchtest du eine Nachspeise?« fragte sie.
»Ja, bitte.«
Sie ging in die Speisekammer und kehrte mit einer Büchse Pfirsiche und Dosenmilch zurück. Sie öffnete beides und setzte ihm das Dessert vor.
Während sie ihm zusah, wie er die Dosenpfirsiche aß, überschwemmte sie Entsetzen über das, was sie vorhatte. Es erschien ihr unverzeihlich und grausam. Wie der Krieg würde es alles vernichten. Das Leben, das sie und Mervyn hier in diesem Haus, in dieser Stadt geführt hatten, würde ruiniert.
Plötzlich wurde ihr klar, daß sie es nicht tun konnte.
Mervyn legte den Teelöffel hin und schaute auf seine Taschenuhr. »Halb acht – schalten wir die Nachrichten ein.«
»Ich kann es nicht«, sagte Diana laut.
»Was?«
»Ich kann es nicht«, sagte sie erneut. Sie würde das Ganze abblasen. Sie würde zu Mark gehen, gleich jetzt, und ihm sagen, daß sie ihre Meinung geändert hatte, daß sie nicht mit ihm kommen würde.
»Warum kannst du die Nachrichten nicht anhören?« fragte Mer- vyn ungeduldig.
Diana starrte ihn an. Sie war versucht, ihm die ganze Wahrheit zu gestehen; aber auch dazu fehlte ihr der Mut. »Ich muß noch einmal weg.« Verzweifelt suchte sie nach einer Ausrede. »Doris Williams liegt im Krankenhaus, und ich sollte sie besuchen.«
»Wer ist Doris Williams, um Himmels willen?«
Es gab keine solche Person. »Sie wurde dir doch vorgestellt«, improvisierte Diana hastig. »Sie ist operiert worden.«
»Ich erinnere mich nicht an sie«, erklärte er, aber er war nicht mißtrauisch. Er hatte kein gutes Gedächtnis, wenn es um flüchtige Bekanntschaften ging.
Diana kam der gloriose Einfall zu fragen: »Möchtest du mitkommen?«
»Großer Gott, nein!« entgegnete er, genau wie sie es erwartet hatte.
»Dann fahre ich selbst.«
»Aber fahr nicht zu schnell in der Verdunkelung.« Er stand auf und ging in den Salon, wo der Rundfunkempfänger stand.
Diana starrte ihm einen Augenblick nach. Er wird nie wissen, wie nahe ich daran war, ihn zu verlassen, dachte sie traurig.
Sie setzte einen Hut auf und nahm den Mantel über den Arm. Der Wagen sprang glücklicherweise gleich beim erstenmal an. Sie lenkte ihn aus der Einfahrt und bog nach Manchester ab.
Die Fahrt war ein Alptraum. Sie war in verzweifelter Eile, aber sie mußte dahinschleichen, weil ihre Scheinwerfer abgeblendet waren und sie nur ein paar Meter weit sehen konnte, obendrein war ihr Blick von Tränen verschleiert, weil sie einfach nicht aufhören konnte zu weinen. Wenn sie den Weg nicht so gut gekannt hätte, wäre sie wahrscheinlich irgendwo aufgefahren.
Die Entfernung betrug nur etwa fünfzehn Kilometer, aber sie brauchte fast eine Stunde dafür.
Als sie den Wagen schließlich vor dem Midland parkte, war sie vollkommen erschöpft. Sie saß eine Minute ganz still und bemühte sich, ihre Fassung wiederzugewinnen. Sie holte ihre Puderdose aus der Tasche und frischte ihr Make-up auf, um die Tränenspuren zu beseitigen.
Sie wußte, daß Mark verzweifelt sein würde, aber er würde nicht daran zugrunde gehen. Er würde das Ganze bald als Sommerromanze sehen. Es war weniger grausam, eine kurze, leidenschaftliche Liebesaffäre zu beenden, als eine fünfjährige Ehe zu brechen. Sie und Mark würden den Sommer 1939 immer in sentimentaler Erinnerung behalten…
Sie brach wieder in Tränen aus.
Es hatte keinen Sinn, hier herumzusitzen und zu grübeln, rügte sie sich nach einer Weile. Sie mußte ins Hotel und es hinter sich bringen. Noch einmal
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