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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Flugzeuge herzustellen. Fliegen war sein Hobby, und er besaß seine eigene kleine Maschine, eine Tiger Moth, die auf einem Flugplatz außerhalb der Stadt stand. Als die Regierung vor zwei oder drei Jahren angefangen hatte, die Air Force auszubauen, hatte es wenige Hersteller gegeben, die gewölbte Rotoren mit mathematischer Präzision fabrizieren konnten, und Mervyn war einer dieser wenigen gewesen. Seither hatte das Geschäft einen gewaltigen Aufschwung erlebt.
    Diana war seine zweite Frau. Die erste hatte ihn vor sieben Jahren verlassen, sie war mit einem anderen Mann durchgebrannt und hatte ihre beiden Kinder mitgenommen. Mervyn hatte sich so schnell wie möglich von ihr scheiden lassen und Diana einen Heiratsantrag gemacht, sobald die Scheidung amtlich war. Diana war damals achtundzwanzig gewesen und er achtunddreißig. Er sah gut aus, wirkte männlich, war wohlhabend und betete sie an. Sein Hochzeitsgeschenk war ein Brillantkollier gewesen.
    Vor ein paar Wochen, zu ihrem fünften Hochzeitstag, hatte er ihr eine Nähmaschine gekauft.
    Wenn sie so zurückblickte, wurde ihr klar, daß die Nähmaschine das Faß zum Überlaufen gebracht hatte. Sie hatte sich einen eigenen Wagen erhofft. Sie konnte Auto fahren, und Mervyn hätte ihn sich leisten können. Als sie die Nähmaschine sah, hatte sie gespürt, daß es so nicht mehr weitergehen konnte. Sie waren fünf Jahre beisammen, und ihm war nicht einmal aufgefallen, daß sie nie nähte.
    Sie wußte, daß Mervyn sie liebte, aber er sah sie nicht. In seiner Welt war sie eine Person, die er als »Ehefrau« katalogisiert hatte. Sie war hübsch, sie führte ihre gesellschaftlichen Pflichten zufriedenstellend aus, sie setzte ihm sein Essen vor und war im Bett immer willig: Was konnte man sich von seiner Ehefrau sonst noch wünschen? Er fragte sie nie um ihren Rat. Da sie weder Geschäftsmann noch Ingenieur war, kam er nicht einmal auf den Gedanken, daß sie Verstand haben könnte. Mit den Männern in seiner Fabrik sprach er auf viel intelligentere Weise als mit ihr. In seiner Welt wollten die Männer Autos und die Frauen Nähmaschinen.
    Und doch war er sehr gescheit. Sein Vater war Dreher gewesen, trotzdem hatte er das Gymnasium besuchen dürfen und danach auf der Universität von Manchester Physik studiert. Er hatte die Möglichkeit gehabt, von dort nach Cambridge zu gehen und seinen Doktor zu machen, aber er war nicht der akademische Typ und nahm statt dessen eine Stellung im Konstruktionsbüro einer großen Maschinenfirma an. Er verfolgte weiterhin die Entwicklung in der Physik und unterhielt sich endlos mit seinem Vater – natürlich nie mit Diana – über Atome und Strahlung und Kernfusion.
    Bedauerlicherweise verstand Diana von Physik wirklich nichts. Sie kannte sich in Musik und Literatur aus, auch in Geschichte. Aber Mervyn war nicht an Kultur irgendeiner Art interessiert, obwohl er Filme und Tanzmusik mochte. Deshalb hatten sie keine gemeinsamen Themen.
    Anders wäre es vielleicht gewesen, wenn sie Kinder gehabt hätten, aber Mervyn reichten die zwei von seiner ersten Frau und er wollte keine mehr. Diana war bereit gewesen, sie in ihr Herz zu schließen, aber sie bekam nicht einmal die Chance. Ihre Mutter hatte sie gegen Diana aufgehetzt, hatte so getan, als wäre Diana der Grund für das Scheitern ihrer Ehe gewesen. Dianas Schwester in Liverpool hatte niedliche Zwillingstöchter mit kurzen Zöpfen. Diana verwöhnte die beiden mit der ganzen Liebe, die sie gern ihren eigenen Kindern gegeben hätte.
    Sie würde die Zwillinge sehr vermissen.
    Mervyn liebte den gesellschaftlichen Umgang mit den führenden Geschäftsleuten und Politikern der Stadt, und eine gewisse Zeit genoß Diana es auch, die perfekte Gastgeberin zu spielen. Immer schon hatte sie ein Faible für schöne Kleider gehabt, und sie verstand es, sie zur Geltung zu bringen. Aber das Leben mußte doch aus mehr bestehen als nur daraus!
    Eine Zeitlang hatte sie die Rolle der Nonkonformistin in der Gesellschaft von Manchester gespielt – hatte Zigaretten geraucht, sich extravagant angezogen, über freie Liebe und Kommunismus geredet. Es hatte ihr Spaß gemacht, die Matronen zu erschrecken, aber Manchester war keine sehr konservative Stadt, und Mervyn ebenso wie seine Freunde waren Liberale, deshalb hatten sich die Gemüter auch nicht sonderlich darüber erregt.
    Sie war unzufrieden, aber sie fragte sich, ob das berechtigt war. Die meisten Frauen hätten gern mit ihr getauscht. Sie hatte einen soliden,

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