Nacht über den Wassern
zuverlässigen, großzügigen Mann, ein herrliches Zuhause und einen riesigen Freundeskreis. Sie sagte sich, daß sie glücklich sein müßte. Aber das war sie nicht – und dann war Mark in ihr Leben getreten.
Sie hörte Mervyns Wagen vorfahren. Es war ein so vertrautes Geräusch, aber heute erschien es ihr drohend, wie das Knurren eines gefährlichen Raubtiers.
Mit zittrigen Händen stellte sie die Bratpfanne auf den Herd.
Mervyn kam in die Küche.
Er sah atemberaubend gut aus. Sein dunkles Haar war jetzt mit
Grau durchzogen, aber dadurch wirkte er nur noch distinguierter. Er war groß und im Gegensatz zu seinen Freunden nicht in die Breite gegangen. Eitelkeit kannte er nicht, aber Diana sorgte dafür, daß er gutgeschnittene dunkle Anzüge und teure weiße Hemden trug, weil sie wollte, daß er so erfolgreich aussah, wie er war.
Sie hatte schreckliche Angst, daß er ihr das schlechte Gewissen vom Gesicht ablesen und darauf bestehen würde, daß sie ihm sagte, was los war.
Er küßte sie auf die Lippen. Schuldbewußt erwiderte sie seinen Kuß. Manchmal schloß er sie in die Arme und drückte die Hand in den Spalt zwischen den Gesäßbacken, dann erfaßte sie beide die Leidenschaft so sehr, daß sie ins Schlafzimmer stürzten und das Essen auf dem Herd anbrannte. Aber das kam nicht mehr oft vor, auch heute nicht, Gott sei Dank. Er küßte sie abwesend und drehte sich um.
Er zog sein Jackett und seine Weste aus, nahm Krawatte und Kragen ab, stülpte die Ärmel hoch und wusch sich Gesicht und Hände unter dem Hahn des Spülbeckens. Er hatte breite Schultern und kräftige Arme.
Ihm war nicht aufgefallen, daß etwas nicht stimmte. Das hätte sie eigentlich wissen müssen. Er sah sie nicht; sie war einfach da – wie der Küchentisch. Sie brauchte sich keine Sorgen zu machen. Er würde nichts ahnen, bis sie es ihm sagte.
Ich sage es ihm noch nicht gleich, dachte sie.
Während die Kartoffeln brieten, strich sie Butter auf Brotscheiben und brühte Tee auf. Sie war immer noch zittrig, konnte es jedoch verbergen. Msrvyn las die Manchester Evening News und blickte sie kaum an.
»Ich hab‘ einen verdammten Unruhestifter im Werk«, sagte er, als sie den Teller vor ihn stellte.
Nichts könnte mir gleichgültiger sein, dachte Diana hysterisch. Ich habe nichts mehr mit dir zu tun.
Warum habe ich ihm dann das Essen gerichtet?
»Er ist ein Londoner aus Battersea, und ich glaube, ein Kommunist. Jedenfalls verlangt er höheren Stundenlohn für die Arbeit an dem neuen Lehrenbohrwerk. Es ist im Grund genommen nicht unverschämt, aber ich habe den Kostenvoranschlag nach den bisherigen Löhnen berechnet, also wird er sich damit abfinden müssen.« Diana nahm ihren ganzen Mut zusammen. »Ich muß dir etwas sagen.« Dann wünschte sie sich inbrünstig, sie könnte die Worte ungesagt machen, aber dafür war es zu spät.
»Was hast du mit deinem Finger gemacht?« Er hatte den Verband bemerkt.
Das nahm ihr ganz den Wind aus den Segeln. »Nichts«, sagte sie und ließ sich auf den Stuhl fallen. »Mir ist das Messer beim Kartoffelschneiden abgerutscht.« Sie griff nach ihrem Besteck.
Mervyn aß mit gesundem Appetit. »Ich sollte besser achtgeben, wen ich einstelle, aber das Problem ist, daß gute Handwerker heutzutage schlecht zu kriegen sind.«
Er erwartete nicht, daß sie etwas zum Thema beitrug, wenn er über sein Werk sprach. Wenn sie tatsächlich etwas einwarf, quittierte er es mit einem gereizten Blick, als wäre sie eine Schülerin, die es wagte, etwas zu sagen, ohne aufgerufen worden zu sein. Sie war nur zum Zuhören da.
Während er von seinem neuen Lehrenbohrwerk und dem Kommunisten aus Battersea erzählte, erinnerte sie sich an ihren Hochzeitstag. Ihre Mutter hatte damals noch gelebt. Sie waren in Manchester getraut worden, und die Feier hatte im Hotel Midland stattgefunden. Mervyn war für Diana in seinem Cut der schönste Mann von England gewesen, und sie hatte gedacht, das würde immer so bleiben. Der Gedanke, daß ihre Ehe nicht von Dauer sein könnte, war ihr gar nicht in den Sinn gekommen. Vor Mervyn hatte sie noch nie jemanden gekannt, der geschieden war. Als sie sich erinnerte, wie glücklich sie sich damals gefühlt hatte, hätte sie am liebsten geweint.
Sie wußte, daß es ein schrecklicher Schlag für Mervyn sein würde, wenn sie ihn verließ. Er hatte keine Ahnung, was sie vorhatte. Daß seine erste Frau ihn auf die gleiche Weise verlassen hatte, machte es natürlich noch schlimmer. Es würde ihn
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