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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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daß zwei leere Plätze zwischen ihnen waren und vier unbesetzte auf der anderen Seite. Margaret fragte sich, wer wohl bei ihnen sitzen würde. Die schöne Frau im Tupfenkleid wäre eine interessante Reisebegleiterin. Auch Lulu Bell wäre es, vor allem, wenn sie sich über Großmutter Fishbein unterhalten wollte. Am liebsten aber wäre ihr Carl Hartmann.
    Sie spürte, wie das Flugzeug im sanften Wellengang auf und ab schaukelte – kaum merklich, aber doch genug, sie zu erinnern, daß sie auf dem Wasser waren. Dies Flugzeug ist wie ein fliegender Teppich, dachte sie. Es war ihr unbegreiflich, wie Motoren es fliegen lassen konnten; viel leichter fiel es ihr, sich vorzustellen, daß es durch Zauberei durch die Lüfte getragen würde.
    Percy stand auf. »Ich sehe mich ein wenig um«, erklärte er.
    »Bleib hier«, befahl Vater. »Du bist nur allen im Weg, wenn du umherläufst.«
    Percy setzte sich sofort wieder hin. Alle Autorität hatte Vater noch nicht verloren.
    Mutter puderte sich die Nase. Sie hatte aufgehört zu weinen. Sieht aus, als fühle sie sich besser, dachte Margaret.
    Sie hörte eine amerikanische Stimme sagen: »Ich würde lieber mit dem Gesicht in Flugrichtung sitzen.« Sie blickte auf. Der Steward Nicky führte einen Herrn zu einem Platz auf der anderen Seite des Abteils. Margaret konnte nur seinen Rücken sehen. Er hatte blondes Haar und trug einen blauen Anzug.
    Der Steward machte eine kleine Verbeugung: »Selbstverständlich, Mr. Vandenpost – nehmen Sie den anderen Platz.«
    Der Herr drehte sich um. Margaret blickte ihn neugierig an, und ihre Blicke trafen sich.
    Sie staunte, als sie ihn erkannte.
    Er war kein Amerikaner, und sein Name war auch nicht Vanden- post.
    Seine blauen Augen funkelten sie warnend an, aber zu spät.
    »Großer Gott!« platzte sie heraus. »Harry Marks!«
    Augenblicke wie diese spornten Harry Marks zu Höchstleistungen an.
    Dank der Kaution wieder auf freiem Fuß, auf der Flucht, mit einem gestohlenen Reisepaß, einem falschen Namen, in der Rolle eines Amerikaners, hatte er das Pech, ausgerechnet dem Mädchen zu begegnen, das wußte, daß er ein Dieb war, das ihn mit einem anderen Akzent hatte sprechen hören und das jetzt auch noch laut seinen richtigen Namen rief!
    Einen Augenblick lang erfüllte ihn blinde Panik.
    Das Schreckensbild von allem, wovor er davonlief, schob sich vor sein inneres Auge: eine Gerichtsverhandlung mit Verurteilung, Gefängnis, dann das gräßliche Leben als Rekrut in der britischen Armee.
    Da erinnerte er sich, daß er fast immer Glück hatte, und er lächelte.
    Das Mädchen wirkte völlig verwirrt. Und plötzlich wußte er ihren Namen wieder.
    Margaret. Lady Margaret Oxenford.
    Sie starrte ihn staunend an, zu überrascht, einen weiteren Ton hervorzubringen, während er auf eine rettende Eingebung wartete.
    »Ich heiße Harry Vandenpost«, sagte er. »Ich wette, mein Namensgedächtnis ist besser als Ihres. Sie sind Margaret Oxenford, nicht wahr? Wie geht es Ihnen?«
    »Gut«, erwiderte sie benommen. Sie schien noch viel verwirrter als er. Das würde ihm Gelegenheit geben, die Situation auf seine Weise zu meistern.
    Er streckte die Rechte aus, um ihr die Hand zu schütteln, und sie folgte seinem Beispiel. Im letzten Moment kam die göttliche Eingebung. Statt ihre Hand zu schütteln, beugte er sich in einer altmodischen Verbeugung darüber, und als sein Kopf dicht an ihrem war, bat er leise: »Tun Sie, als wären wir uns nie auf einem Polizeirevier begegnet, ich tue das gleiche für Sie.«
    Dann richtete er sich wieder auf und blickte ihr in die Augen. Sie waren von einem ungewöhnlichen dunklen Grün, bemerkte er, und bezaubernd schön.
    Einen Moment schaute sie ihn verwirrt an. Dann klärte sich ihre Miene, und sie grinste. Sie hatte verstanden, und die kleine Verschwörung, die er ihr vorgeschlagen hatte, reizte und freute sie. »Natürlich, wie dumm von mir, Harry Vandenpost«, sagte sie.
    Harry atmete erleichtert auf. Ich bin eben doch ein Glückspilz, dachte er.
    Mit einem mutwilligen Stirnrunzeln fügte Margaret hinzu: »Wo haben wir uns eigentlich kennengelernt?«
    Das war kein Problem für Harry. »War es nicht auf Pippa Matchinghams Ball?«
    »Nein – ich konnte ihn nicht besuchen.«
    Harry wußte eigentlich so gut wie nichts über Margaret. Wohnte sie während der Ballsaison in London oder zog sie sich die ganze Zeit aufs Land zurück? Jagte sie? Unterstützte sie wohltätige Veranstaltungen? Malte sie Aquarelle? Oder führte sie

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