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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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landwirtschaftliche Versuche auf der Farm ihres Vaters durch? Er versuchte es mit einem der großen gesellschaftlichen Ereignisse der Saison. »Dann war es bestimmt in Ascot.«
    »Ja, natürlich!« rief sie erfreut.
    Er gestattete sich ein zufriedenes Lächeln. Er hatte sie bereits jetzt zur Mitverschwörerin gemacht.
    »Aber ich glaube nicht, daß Sie meine Familie kennengelernt haben. Mutter, darf ich dir Mr. Vandenpost vorstellen? Er ist aus …«
    »Pennsylvania«, sagte Harry rasch und bereute es sofort. Wo zum Teufel war Pennsylvania? Er hatte keine Ahnung.
    »Meine Mutter, Lady Oxenford; mein Vater, Lord Oxenford. Und das ist mein Bruder, Lord Isley.«
    Harry hatte natürlich von den Oxenfords gehört, sie waren eine berühmte Familie. Er schüttelte jedem auf die herzliche, fast übertrieben freundliche Art die Hand, von der er annahm, daß die Oxenfords sie für typisch amerikanisch halten würden.
    Lord Oxenford sah genauso aus, wie er war: ein vollgefressener, mißmutiger alter Faschist. Er trug einen braunen Tweedanzug mit einer Weste, die so spannte, daß die Knöpfe abzuspringen drohten, und er hatte es nicht für nötig gefunden, seinen braunen Filzhut abzunehmen.
    Harry sagte zu Lady Oxenford: »Ich finde es aufregend, Sie kennenzulernen, Ma‘am. Ich interessiere mich sehr für antiken Schmuck und habe gehört, daß Sie eine der schönsten Sammlungen der Welt besitzen.«
    »Oh, danke«, erwiderte sie. »Auch mein besonderes Interesse gilt altem Schmuck.«
    Er erschrak innerlich, als er ihren amerikanischen Akzent hörte. Was er über sie wußte, hatte er in den Gesellschaftsspalten von Zeitungen gelesen. Er hatte geglaubt, sie wäre Britin. Doch nun erinnerte er sich dunkel an Klatsch über die Oxenfords. Wie viele Aristokraten mit riesigem Landbesitz hatte der Preissturz bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen nach dem Krieg auch Lord Oxenford fast in den Bankrott getrieben. Viele Adelige hatten ihren Besitz verkauft und waren nach Nizza oder Florenz gezogen, wo sie sich einen höheren Lebensstandard leisten konnten. Algernon Oxenford aber hatte die Erbin eines amerikanischen Bankbesitzers geheiratet, und ihr Geld hatte es ihm ermöglicht, weiterhin den Lebensstil seiner Vorfahren beizubehalten.
    All das bedeutete, daß Harry seine Rolle so gut spielen mußte, daß er sogar eine waschechte Amerikanerin täuschen konnte. Er durfte sich keinen Fehler leisten und mußte sich die nächsten dreißig Stunden genau an seine Rolle halten.
    Er beschloß, charmant zu ihr zu sein. Bestimmt war sie Komplimenten nicht abgeneigt, schon gar nicht von gutaussehenden jungen Männern. Er betrachtete die Brosche an ihrem rostfarbenen Reisekostüm. Sie bestand aus dicht mit Smaragden, Saphiren, Rubinen und Brillanten bestecktem Gold in der Form eines Schmetterlings auf einem Heckenrosenzweig. Harry schätzte, daß sie eine Kreation französischer Goldschmiedekunst um achtzehnhundertachtzig war; ihren Schöpfer konnte er nur vermuten. »Ist Ihre Brosche von Oscar Massin?«
    »Ganz recht.«
    »Ein wundervolles Stück.«
    »Vielen Dank.«
    Lady Oxenford war eine schöne Frau. Harry konnte verstehen, daß Oxenford sie geheiratet hatte, nicht aber, was sie an ihm gefunden hatte. Vielleicht hatte er vor zwanzig Jahren besser ausgesehen.
    »Ich glaube, ich kenne die Vandenposts aus Philadelphia«, sagte sie jetzt.
    Verflixt! Hoffentlich nicht, dachte Harry. Glücklicherweise hatte sie ziemlich vage geklungen.
    »Meine Familie sind die Glencarries aus Stamford in Connecticut«, fügte sie hinzu.
    »Tatsächlich!« Harry tat beeindruckt. Er dachte immer noch an Philadelphia. Hatte er gesagt, er käme aus Philadelphia oder aus Pennsylvania? Er konnte sich nicht erinnern. Vielleicht war das ein und derselbe Ort. Die Namen schienen zusammenzupassen: Philadelphia, Pennsylvania. Stamford, Connecticut. Er erinnerte sich, daß Amerikaner, wenn man sie fragte, von woher sie waren, immer zwei Namen nannten. Houston, Texas; San Francisco, Kalifornien. Ja.
    Der Junge sagte: »Ich heiße Percy.«
    »Harry«, erwiderte Harry und war froh, wieder festeren Boden unter den Füßen zu haben. Percys Titel war Lord Isley. Es handelte sich um einen vorübergehenden Titel, den er benutzen würde, bis sein Vater starb und er Lord Oxenford wurde. Die meisten dieser
    Bürschchen waren lächerlich stolz auf ihre blöden Titel. Harry war einmal ein rotznäsiger Dreikäsehoch als Baron Portrail vorgestellt worden. Aber Percy schien in Ordnung zu sein.

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